Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.unschuldige Urheberin all’ dieser traurigen Verwicklungen, Nitetis, hatte seit dem Geburtstagsfeste des Königs unendlich traurige Stunden verlebt. Seit jenen harten Worten, mit denen Kambyses das arme Weib aus der Halle gewiesen, nachdem ihr unerklärliches Benehmen seine Eifersucht erweckt hatte, war nicht die geringste Kunde, weder von ihrem zornigen Geliebten, noch von seiner Mutter und Schwester zu ihr gelangt. Jeder Tag hatte sie seit ihrer Anwesenheit in Babylon mit Kassandane und Atossa vereint. Als sie sich zu denselben tragen lassen wollte, um ihnen ihr sonderbares Benehmen zu erklären, verbot ihr Kandaules, ihr neuer Wächter, in kurzen Warten, das Haus zu verlassen. Bis dahin glaubte sie. eine freimüthige Erzählung dessen, was sie dem letzten Briefe aus ihrer Heimath entnommen, werde all’ diese Mißverständnisse aufklären. In Gedanken sah sie schon Kambyses, seine Heftigkeit und seine thörichte Eifersucht bereuend, ihr die Vergebung fordernde Hand entgegenstrecken. Endlich zog sogar eine gewisse Freudigkeit in ihre Seele, als sie eines Wortes gedachte, das sie einst aus dem Munde des Ibykus vernommen hatte. »Wie ein starker Mann heftiger als ein Schwächling vom Fieber erfaßt wird, so quält die Eifersucht ein kräftig liebendes Herz furchtbarer, als ein nur obenhin von der Leidenschaft ergriffenes.«
Wenn der große Kenner der Liebe Recht hatte, so mußte Kambyses, dessen Eifersucht so schnell und furchtbar entflammt war, eine große Leidenschaft für sie empfinden. In diese Zuversicht mischten sich fortwährend trübe Gedanken an die Heimath und finstere Ahnungen, denen sie ihr Herz nicht verschließen konnte. Als die Mittagssonne glühend am Himmel brannte und noch immer keine Nachricht von Denen, die sie liebte, kam, wurde sie von einer fieberhaften Unruhe ergriffen, welche sich fort und fort steigerte, bis die Nacht hereinbrach. Als es dunkelte, trat Boges bei ihr ein und erzählte ihr mit bitterem Hohne, daß der König ihren Brief an Bartja besitze, und der Gärtnerknabe, welcher ihn überbringen sollte, hingerichtet worden sei. Die gemarterten Nerven der Königstochter vermochten diesem neuen Schlage nicht zu widerstehen. Ehe Boges sie verließ, trug er die Besinnungslose in ihr Schlafgemach und riegelte es sorglich zu.
Wenige Minuten später entstiegen zwei Männer, ein Jüngling und ein Greis der Fallthüre, welche Boges vor zwei Tagen so aufmerksam geprüft hatte. Der Alte blieb, sich an die Wand des Hauses drängend, stehen, während der Jüngling einer an einem Fenster winkenden Hand folgte und sich mit einem Satze in das Zimmer schwang. Liebesworte und die Namen Gaumata und Mandane wurden leise geflüstert, Küsse gewechselt und Schwüre geleistet. Endlich klatschte der Alte in die Hände. Der Jüngling folgte sogleich diesem Winke, umarmte die Dienerin der Nitetis noch einmal, sprang wieder durch das Fenster in den Garten, eilte an den nahenden Bewunderern der blauen Lilie vorüber, schlüpfte mit seinem Begleiter in die offen gehaltene Fallthüre, schloß sie behutsam und verschwand.
Mandane eilte schnell in das Zimmer, in welchem ihre Herrin des Abends zu verweilen pflegte. Sie kannte ihre Gewohnheiten und wußte, daß sie allabendlich beim Aufgang der Sterne an dem dem Euphrat zugekehrten Fenster zu sitzen und von dort aus, ohne jemals nach einer Dienerin zu verlangen, stundenlang in den Strom und die Ebene zu schauen pflegte. So hatte sie, ohne eine Entdeckung von dieser Seite zu befürchten und in dem Bewußtsein, von dem Eunuchenobersten selbst beschützt zu werden, ihren Geliebten ruhig erwarten können.
Kaum hatte sie ihre bewußtlose Herrin gefunden, als sie vernahm, wie sich der Garten mit Menschen füllte, Männer- und Eunuchenstimmen durcheinander schrieen, und die Trompete ertönte, welche die Wächter herbeizurufen bestimmt war. Anfänglich zitterte sie in dem Gedanken, man habe ihren Geliebten entdeckt; als aber Boges erschien und ihr zuflüsterte: »Er ist glücklich entkommen!« befahl sie den Dienerinnen, welche aus dem Weibergemache, in das sie dieselben, ihres Stelldicheins wegen, verbannt hatte, schaarenweis herbeiströmten, die Gebieterin in ihre Schlafkammer zu tragen, und wendete alle Mittel an, um Nitetis in’s Leben zurückzurufen. Diese hatte kaum die Augen geöffnet, als Boges in ihr Zimmer trat und zweien Eunuchen, die ihm folgten, befahl, die zarten Arme der Jungfrau mit Ketten zu belasten.
Keines Wortes mächtig ließ Nitetis Alles über sich ergehen; ja sie fand keine Erwiederung, als ihr Boges, das Haus verlassend, zurief: »Laß’ Dir’s in Deinem Käfig wohlgefallen, mein gefangenes Vögelchen. So eben erzählt man Deinem Herrn, ein Königsmarder habe sich in seinem Taubenschlage vergnügt. Gehab’ Dich wohl und denk’ an den armen, geplagten Boges, wenn Dich bei dieser Hitze die feuchte Erde abkühlen wird. Ja, mein Täubchen, im Tode erkennt man seine wahren Freunde, darum will ich Dich in keinem Sacke von grobem Leinenzeuge, sondern in einem Tuche von zarter Seide vergraben lassen! Lebe wohl, mein Herzblatt!«
Das schwergeprüfte Weib hörte diese Worte bebend an und bat Mandane, nachdem sich der Eunuch entfernt hatte, um Aufklärung über das Vorgefallene. Die Zofe erzählte ihr, dem Rathe des Eunuchen folgend, Bartja habe sich in die hängenden Gärten geschlichen und sei, als er eben ein Fenster ersteigen wollte, von mehreren Achämeniden gesehen worden. Man habe Kambyses den Verrath seines Bruders mitgetheilt und fürchte Alles von der Eifersucht des Königs. Das leichtsinnige Mädchen vergoß bei dieser Erzählung reichliche Thränen bitterer Reue, welche ihrer Herrin wohlthaten, weil sie dieselben für Zeugen aufrichtiger Liebe und Theilnahme hielt.
Verzweifelnd schaute Nitetis, als Mandane schwieg, auf ihre Ketten und bedurfte langer Zeit, um sich in ihre furchtbare Lage zu finden. Dann überlas sie den Brief aus der Heimath noch einmal, schrieb auf einen Zettel die kurzen Worte: »Ich bin unschuldig«, befahl der schluchzenden Dienerin, beide nach ihrem Tode der Mutter des Königs zu übergeben und durchwachte eine unendlich lange Nacht. In ihrem Salbenkästchen befand sich ein Mittel zur Verschönerung der Haut, welches, wie sie wußte, den Tod herbeiführte, wenn man es in größerer Menge genoß. Dieses Gift ließ sie sich bringen und beschloß mit ruhiger Ueberlegung sich, wenn der Henker nahen sollte, mit eigener Hand den Tod zu geben. Von nun an freute sie sich auf ihre letzte Stunde und sagte sich. »Er tödtet Dich zwar; aber er tödtet Dich aus Liebe.« Dann kam ihr der Gedanke, ihm einen Brief zu schreiben und ihm in demselben die ganze Fülle ihrer Liebe zu gestehen. Er sollte dies Schreiben erst nach ihrem Tode erhalten, damit er nicht glauben möge, sie habe es, um ihr Leben zu retten, geschrieben. Die Hoffnung, der unbeugsame Starke könnte diese letzten Grüße vielleicht mit seinen Thränen benetzen, erfüllte ihre Seele mit einer schmerzlichen Wollust.
Trotz ihrer schweren Ketten schrieb sie dann folgende Worte. »Kambyses wird dieses Schreiben erst, wenn ich nicht mehr sein werde, erhalten. Es soll meinem Gebieter sagen, daß ich ihn heißer liebe als die Götter, die Welt, ja als mein eigenes junges Leben. Kassandane und Atossa sollen sich meiner freundlich erinnern! Aus dem Briefe meiner Mutter werden sie ersehen, daß ich unschuldig bin und Bartja nur um meiner armen Schwester willen zu sprechen begehrte. Boges hat mir gesagt, mein Tod sei beschlossen. Wenn der Henker naht, so werde ich meinem Leben ein Ende machen. Ich begehe ein Verbrechen an mir selbst, um Dich, Kambyses, vor einer schimpflichen That zu bewahren.«
Dieses Schreiben übergab sie sammt dem Briefe ihrer Mutter der weinenden Mandane mit der Bitte, beide dem Kambyses, wenn sie nicht mehr sein sollte, zuzustellen.
Dann warf sie sich nieder und flehte zu den Göttern ihrer Heimath, indem sie dieselben wegen ihrer Abtrünnigkeit um Verzeihung bat.
Als Mandane sie ermahnte, ihrer Schwäche zu gedenken und sich niederzulegen, sagte sie: »Ich brauche nicht zu schlafen, denn ich habe ja nur noch kurze Zeit zu wachen!«
Je länger sie betete und ägyptische Hymnen sang, desto inniger wandte sie sich wiederum den Göttern ihrer Heimath zu, welche sie nach so kurzem Kampfe verleugnet hatte. Fast alle Gebete, die sie kannte, bezogen sich auf das Leben nach dem Tode. Im Reiche des Osiris, in der Unterwelt, woselbst die zweiundvierzig Todtenrichter den Werth oder Unwerth der Seele nach der Wägung der Göttin der Wahrheit und des Himmelsschreibers Thoth beurtheilen sollten, durfte sie ihre Lieben wiederzusehen hoffen, wenn ihre ungerechtfertigte Seele nicht die Wanderung durch die Leiber der Thiere antreten mußte, wenn ihr Körper, der Seelenträger, erhalten bleiben würde394. Dies »wenn« erfüllte sie mit fieberhafter Unruhe. Die Lehre, daß das Wohl der Seele an die Erhaltung des zurückbleibenden irdischen Theils des Ich geknüpft sei, war ihr von Kindheit an eingeprägt worden. Sie glaubte an diesen Wahn, der Pyramiden gethürmt und Felsen ausgehöhlt hatte, und erbebte, als sie daran dachte,