Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.das ewige Leben geraubt werden würde. Da kam ihr der Gedanke, den alten Göttern nochmals untreu zu werden und sich vor den neuen Geistern des Lichts niederzuwerfen. Diese gaben den abgestorbenen Leib den Elementen, aus denen er bestand, zurück und prüften nur die Seele des Verstorbenen. Als sie aber ihre Hände zur großen Sonne erhob, die soeben mit ihren goldenen Strahlenschwertern die im Euphratthale wallenden Nebel besiegte, als sie den Mithra in neu erlernten Liedern zu preisen beginnen wollte, da versagte ihr die Stimme, und statt des Mithra sah sie in dem Gestirn des Tages den Gott, den sie in Aegypten so oftmals gelobt hatte, den großen Ra, und statt des Hymnus der Magier sang sie das Lied, mit dem die ägyptischen Priester die Morgensonne zu begrüßen pflegten:
»Der großen Gottheit eure Kniee beugt,
Dem Kind des Himmels, dem erhab’nen Ra,
Ihm, der aus eigner Urkraft sich erzeugt,
Den, frisch erneut, ein jeder Morgen sah.
Dir schalle Ruhm, der Du im Himmelsmeer,
Gedeihen spendend, wallest durch das Blau;
Du schufest Alles, Alles rings umher,
So weit sich wölbt die hohe Himmelsau.
Du bist der Wächter, dessen milder Strahl
Den Reinen Allen süßes Leben bringt;
Dir schalle Ruhm; und wenn im Himmelsthal
Dein heller Pfad sich durch die Blaue schlingt,
So beben alle Götter, die Dir nah,
Vor süßer Wonne, Kind des Himmels, Ra395!«
Reicher Trost zog mit diesem Sange in ihr Herz. Mit thränenfeuchten Augen schaute sie, ihrer Kindheit gedenkend, dem jungen Lichte, dessen Strahlen ihre Augen noch nicht blendeten, entgegen. Dann sah sie hernieder in die Ebene. Da floß, dem Nile ähnlich, der Euphrat mit seinen gelblichen Wellen. Zahlreiche Dörfer schauten, wie in ihrer Heimath, aus üppigen Saatfeldern und Feigengebüschen hervor. Gen Westen dehnte sich meilenweit der Thiergarten des Königs mit seinen hohen Cypressen und Nußbäumen. Auf allen Blättern und Halmen schimmerte der Morgenthau, und in den Büschen des Gartens, den sie bewohnte, ließen zahllose Vögel ihre lieblichen Stimmen vernehmen. Jetzt erhob sich ein leiser Lufthauch, trug süße Rosendüfte zu ihr hin und spielte mit den Wipfeln der Palmen, die sich am Ufer des Stromes und auf allen Aeckern rings umher, in zahllosen Mengen, schlank und zierlich erhoben.
Ostmals hatte sie diese schönen Bäume bewundert und sie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre schweren Kronen erfaßte und ihre schlanken Stämme bald hierhin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte sie sich gesagt, hier müsse die Heimath des Phönix396, des Vogels aus dem Palmenlande sein, der, wie die Priester erzählten, alle 500 Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, woselbst er sich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte, um schöner zu erstehen aus seiner Asche und nach drei Tagen in seine östliche Heimath zurückzufliegen. Und während sie dieses Vogels gedachte und gleich ihm aus der Asche des Unglücks zu neuem, schönerem Glücke zu erstehen wünschte, da flog von den Cypressen her, welche die Wohnung Dessen verbargen, den sie liebte und der sie so elend gemacht hatte, ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, schwang sich höher und höher und ließ sich endlich auf einer Palme dicht vor ihrem Fenster nieder. Einen gleichen Vogel hatte sie noch nie gesehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher Vogel sein, denn ein goldenes Kettlein hing an seinem Fuße, und sein Schweif bestand nicht aus Federn, sondern, wie sie meinte, aus Sonnenstrahlen. Dies war Benno397, der Vogel des Ra! Andächtig fiel sie von neuem auf die Kniee nieder und sang das alte Phönixlied, indem sie von dem strahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte:
›Hoch über den Häuptern der Menschen daher
Durchschneidet mein Fittig das Aethermeer.
Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht;
Ich gleiche ihm selber an glänzender Pracht.
Nun bin ich so lieblich, so köstlich zu schauen
Wie Kronen der Blumen aus blühenden Auen.
Doch strahl’ ich auch glänzend im herrlichsten Licht,
Geheim ist mein Wesen, du kennest es nicht;
Ich aber kenn’ Alles, was wird und geschah,
Ich bin ja die Seele des ewigen Ra398.‹
Der Vogel lauschte, das mit wallenden Federn verzierte Köpfchen neugierigklug hin- und herwendend, auf diesen Gesang und flog fort, sobald er beendet war. Nitetis schaute dem vermeinten Phönix, einem Paradiesvogel, der das Kettchen, welches ihn an einen Baum im Thiergarten gefesselt, zerrissen hatte, freundlich nach. Eine wunderbare Zuversicht auf Rettung zog in ihr Herz, denn sie meinte, der Gott Ra habe ihr den Vogel zugesandt, dessen Gestalt sie als seliger Geist annehmen sollte. So lange man wünscht und hofft, kann man viel Unglück ertragen; kommt das Glück nicht, so verlängert sich die Erwartung, und mit ihr die Süßigkeit, welche ihrem Wesen innewohnt. Diese Stimmung ist sich selbst genug und enthält eine Art Genuß, der die Stelle der Wirklichkeit vertreten kann. Mit neuer Hoffnung legte sich Nitetis, ermattet wie sie war, auf den Diwan nieder und versank bald gegen ihren Willen, ohne das Gift berührt zu haben, in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Den Unglücklichen, welche die Nacht durchweinen, pflegt die aufgehende Sonne tröstend in’s Herz zu scheinen, während sie den Schuldigen, die das Dunkel aufsuchen, mit ihrem reinen Lichte eine unwillkommene Erscheinung zu sein pflegt. Indessen Nitetis schlief, wachte Mandane, gequält von furchtbaren Gewissensbissen. Wie gern würde sie die Sonne, welche der gütigsten Herrin durch ihre Schuld den Tod bringen sollte, zurückgehalten und von nun an in ewiger Nacht gelebt haben, wenn sie dadurch vermocht hätte, ihre gestrigen Thaten ungeschehen zu machen.
Das gute aber leichtsinnige Geschöpf wurde nicht müde, sich eine ruchlose Mörderin zu nennen. Hundertmal nahm sie sich vor, Alles der Wahrheit gemäß zu gestehen und Nitetis zu retten; aber jedesmal siegten Lebenslust und Furcht über die guten Regungen ihres schwachen Herzens. Wenn sie gestand, so war sie des Todes gewiß, und sie fühlte sich so ganz für das Leben geschaffen, ihr graute so sehr vor dem Grabe, sie hoffte so viel von der Zukunft! Hätte sie nur ewige Gefangenschaft zu befürchten gehabt, so würde sie vielleicht die volle Wahrheit enthüllt haben; sterben aber, sterben konnte sie nicht! Und war denn die Verurtheilte überhaupt durch ein Geständniß zu retten?
Hatte sie denn nicht selbst eine Botschaft derselben durch den unglücklichen Gärtnerknaben an Bartja bestellen müssen? Dieser geheime Briefwechsel war entdeckt worden, und darum wäre Nitetis wohl auch ohne ihr Zuthun verloren gewesen! Wir sind niemals geschickter, als wenn es gilt, das Unrecht, welches wir begehen, vor uns selbst zu beschönigen.
Mandane kniete, als die Sonne aufging, vor dem Lager ihrer Herrin, weinte bitterlich und begriff nicht den ruhigen Schlaf derselben.
Auch Boges, der Eunuch, hatte eine schlaflose, aber glückliche Nacht verlebt. Sein Stellvertreter und Amtsgenosse Kandaules, den er haßte, war seiner Nachlässigkeit, ja vielleicht Bestechlichkeit wegen, auf Befehl des Königs sofort hingerichtet worden, und Nitetis war nicht nur gestürzt, um vielleicht später wieder erhoben zu werden, sondern vielmehr zu einem schimpflichen Tode verurteilt worden, der sie für immer unschädlich machen sollte. Auch der Einfluß der Mutter des Königs hatte einen harten Stoß erlitten. Endlich schmeichelte ihm das Bewußtsein seiner Ueberlegenheit und der geschickten Durchführung seines schwierigen Unternehmens ebenso sehr, als ihn die Hoffnung, bald wieder durch seinen Liebling Phädime der allmächtige Günstling von früher zu werden, beglückte. Das über Krösus und die jungen Helden verhängte Todesurtheil war ihm gleichfalls erwünscht, denn wenn sie am Leben blieben, so war eine Entdeckung seiner Ränke nicht unmöglich.
Der Morgen graute schon, als er