Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.abgewendet werden kann, hinauszuschieben suchen? Wenn mich ein Zahn schmerzt, so lasse ich ihn sofort ausreißen, während Weiber und Feiglinge sich wochenlang quälen und ängstigen, um die schmerzliche Operation nur nicht gleich, nur so spät als möglich vollziehen zu lassen. Ich erwarte die Gefahr mit festem Muthe und wünsche ihr recht bald zu begegnen, um sie desto eher hinter mir zu haben!«
»Du kennst nicht ihre Größe.«
»Fürchtest Du für mein Leben?«
»Nein.«
»Theile mir mit, was Du besorgst!«
»Jener ägyptische Priester zu Sais, mit dem ich die Sterne beobachtete, hat Dein Horoskop mit mir gestellt. Er war der himmelskundigste Mann, welchen ich jemals gesehen. Ich verdanke ihm manche Kenntniß und will Dir nicht verschweigen, daß er mich schon damals auf Gefahren aufmerksam machte, die über Deinem Haupte schweben.«
»Und Du verschwiegst mir das?«
»Warum sollt’ ich Dich vorzeitig ängstigen? Jetzt, wo sich das Verhängniß nähert, warn’ ich Dich.«
»Ich danke Dir und werde Vorsicht üben. Früher hätte ich nicht auf Deine Mahnung gehört; seitdem ich aber liebe, ist mir’s, als hätt’ ich nicht mehr so frei über mein Leben zu verfügen als sonst.«
»Ich verstehe dieses Gefühl . . .«
»Du verstehst mich? So hatte Araspes recht beobachtet? – Du sagst nicht nein?«
»Ein Traum sonder Hoffnung!«
»Welches Weib könnte Dich verschmähen?«
»Verschmähen?«
»Ich begreife Dich nicht! Sinkt Dir, dem kühnsten Jäger, dem stärksten Ringer, dem weisesten aller jungen Perser, der feste Muth einem Weibe gegenüber?«
»Darf ich Dir vertrauen, mehr vertrauen, als ich meinem Vater vertrauen würde, Bartja?«
»Du darfst!«
»Ich liebe die Tochter des Cyrus, Deine und des Königs Schwester, Atossa!«
»Hab’ ich Dich recht verstanden; Du liebst Atossa? So danke ich euch, ihr reinen Amescha çpenta379. Von heute an glaub’ ich nicht mehr an Deine Sterne, denn statt der Gefahren, mit denen sie mich bedrohen, schenken sie mir ein unerwartetes Glück. Umarme mich, mein Bruder, und erzähle mir die Geschichte Deiner Liebe, damit ich Dir helfen kann, das, was Du einen Traum sonder Hoffnung nanntest, zur Wahrheit zu machen!«
»Vor unserer Abreise nach Aegypten zogen wir, wie Du weißt, mit dem ganzen Hoflager von Ekbatana nach Susa. Ich befehligte damals die Abtheilung der ›Unsterblichen‹, welche die Wagen der königlichen Frauen zu beschützen hatte. Auf dem Engpasse, der über den Orontes führt, glitten die Pferde vor dem Wagen Deiner Mutter und Schwester aus. Das Joch, an welches die Rosse geschirrt waren380, brach von der Deichsel, und vor meinen Augen sank der vierrädrige schwere Wagen ohne Halt und Hemmniß in den Abgrund. Schaudernd sahen wir, unsere Pferde zu furchtbarer Eile spornend, das Fuhrwerk verschwinden. Bei der Stätte des Unglücks angelangt, glaubten wir uns auf den Anblick von Trümmern und Leichen vorbereiten zu müssen; die Götter hatten aber die Deinen in ihren allmächtigen Schutz genommen, und der in den Abgrund geschleuderte Wagen ruhte mit zertrümmerten Rädern in den Armen zweier riesiger Cypressen, welche sich mit zähen Wurzeln an das zerklüftete Schiefergefels klammerten und ihre dunklen Wipfel bis zum Saume der Fahrstraße emporstreckten.
»Schnell wie der Gedanke sprang ich vom Pferde und kletterte, ohne mich zu besinnen, an einer der Cypressen hernieder. Deine Mutter und Schwester riefen um Hülfe und streckten mir ihre Arme flehend entgegen. Ihre Gefahr war entsetzlich, denn die hölzernen Wände des Wagens, von dem harten Anprall aus den Fugen gerissen, drohten sich in jedem Augenblicke zu theilen und die von ihnen eingeschlossenen Frauen preiszugeben dem unvermeidlichen Sturz in den Abgrund, welcher tief, schwarz, unergründlich, ein Sitz der finsteren Diws, bereit schien, die schönen Opfer in seinem Rachen zu zermalmen.
»Ich stand, mich an den Stamm der Cypresse klammernd, vor dem zerberstenden, schwebenden Wagen. Da traf mich zum Erstenmale der flehende Blick Deiner Schwester. Seit jenem Augenblicke liebte ich Atossa; aber damals wußte ich noch nicht, was in meinem Herzen vorging, denn ich konnte an nichts, als an die Rettung der Deinen denken. In wilder Hast hob ich die zitternden Weiber aus dem Wagen, dessen Theile eine Minute später aus einander fielen und der dann krachend in den Abgrund herniederstürzte. Ich bin ein starker Mann, aber ich bedurfte des Aufwandes aller Kräfte, um mich selbst und die beiden Frauen so lange über dem Abgrunde zu erhalten, bis man Seile zu mir hernieder geworfen hatte. Atossa hing an meinem Halse, Kassandane ruhte, von meiner Linken gehalten, an meiner Brust. Mit der Rechten schlang ich den Strick um meinen Leib, man zog uns empor, und wenige Minuten später befand ich mich mit den geretteten Deinen auf der sicheren Landstraße.
»Nachdem ein Magier die Wunden, welche das scharf angezogene Seil in meine Seite geschnitten, verbunden hatte, ließ mich der König rufen, beschenkte mich mit dieser Halskette und den Einkünften einer ganzen Satrapie und führte mich selbst zu den Frauen, welche mir in warmen Worten ihren Dank aussprachen. Kassandane gestattete mir, ihre Stirn zu küssen und ließ mir den ganzen Schmuck, welchen sie während jenes Augenblickes der Gefahr getragen hatte, für meine künftige Gattin überreichen. Atossa zog einen Ring von ihrem Finger, steckte ihn an meine Hand und küßte dieselbe, lebhaft, wie sie ist, in dankbarer Aufwallung. Seit jenem Tage, dem glücklichsten meines Lebens, habe ich Deine Schwester bis zum gestrigen Abende niemals wiedergesehen. Bei dem großen Geburtstagsschmause saßen wir einander gegenüber. Mein Auge begegnete dem ihren. Ich sah nichts als Atossa und weiß, daß sie ihren Retter nicht vergessen hat. Kassandane . . .«
»O, meine Mutter wird Dich gern ihren Eidam nennen, dafür leiste ich Bürgschaft! An den König mag sich Dein Vater wenden; er ist unser Oheim und darf die Tochter des Cyrus mit gutem Rechte für seinen Sohn begehren!«
»Erinnerst Du Dich noch jenes Traumes Deines Vaters? Um seinetwillen hat Kambyses niemals aufgehört, mich mit Mißtrauen zu betrachten.«
»Das ist längst vergessen! Mein Vater träumte vor seinem Tode, Du habest Flügel381; darum fürchtete er, von den Traumdeutern verblendet, Du, ein achtzehnjähriger Knabe, werdest nach der Krone streben. Kambyses dachte jenes Gesichts, bis ihm Krösus, nachdem Du die Meinen gerettet hattest, erklärte, der Traum sei erfüllt, denn nur ein geflügelter Adler oder Darius vermöge so kräftig und geschickt über einem Abgrunde zu schweben.«
»Doch diese Deutung behagte Deinem Bruder nur wenig. Er will der einzige Adler in Persien sein; Krösus aber schmeichelt nie seinem Stolze.«
»Wo er nur so lange bleibt?!«
»Er ist auf den hängenden Gärten. Dein Vater und Gobryas werden ihn zurückhalten.«
»Das nenne ich höflich!« ließ sich in diesem Augenblick die Stimme des Zopyrus vernehmen. »Bartja ladet uns zum Schmause und läßt uns, Geheimnisse auskramend, ohne Wirth die Becher leeren!«
»Wir kommen, wir kommen!« rief der Königssohn als Antwort zurück. Dann ergriff er die Hand des Darius, drückte sie und sagte: »Deine Liebe zu Atossa macht mich glücklich. Ich bleibe bis übermorgen hier, wenn mich auch die Sterne mit allen Gefahren der Welt bedrohen! Morgen ergründe ich Atossa’s Herz und erst, wenn Alles im rechten Geleise ist, ziehe ich fort, um meinem geflügelten Darius zu überlassen, sein Ziel mit eigenen Kräften zu erreichen.«
Mit diesen Worten ging Bartja der Laube zu, während sein Freund von neuem gen Himmel schaute. Je länger er in die Sterne sah, desto finsterer wurde sein Antlitz. Als der Tistarstern unterging, murmelte er. »Armer Bartja!« Die Freunde riefen ihm und er wollte soeben zu ihnen zurückkehren, als er eines neuen Sternes ansichtig wurde, dessen Stellung er mit Aufmerksamkeit musterte. Der Ernst seiner Züge verwandelte sich in ein triumphirendes Lächeln, seine