Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.des römischen Volkes geschehe. Wenn hier keine Hoffnung sei, werde er die Hilfe der Volsker und Aequer und alles Äußerste versuchen und aufbieten.
(16) Jetzt wurde den Vätern und den Konsuln die Sache klarer. Gleichwohl fürchteten sie außer dem, was er ihnen laut drohte, es möchte dies ein Werk der Vejenter oder Sabiner sein; 2 ferner, es möchten noch, da schon so viele Feinde in der Stadt wären, in Kürze Sabiner- und Etruskerheere nach einer Verabredung erscheinen; endlich die ewigen Feinde, die Volsker und Aequer, möchten nicht, wie sonst zur Plünderung des Landes, sondern gegen die Stadt selbst heranrücken, die zum Teil schon erobert sei. 3 So vielfach und unterschiedlich waren ihre Befürchtungen. Diese alle überwog die Gefahr von Seiten der Sklaven, in denen jeder seinen Feind im Haus gehabt hätte. Ihm Zutrauen zu schenken oder ihn durch Misstrauen für treulos zu erklären, was ihn noch eher erbittern konnte, war beides gefährlich.
4 Kaum hielten sie es für möglich, den Staat zu halten, selbst bei der jetzigen Eintracht, so wenig dachte einer von ihnen daran, da die vielfache anderweitige Not schon überwiegend und drückend war, dass man von den Tribunen oder den Bürgern das mindeste zu fürchten habe. Dies Übel schien von milderer Art, immer nur während der Ruhe von anderen Übeln sich einzustellen, und jetzt durch den Schrecken von außen betäubt zu sein. 5 Und gerade dies warf sich jetzt auf den zum Sturz sich neigenden Staat mit der lastendsten Schwere.
Die Tribunen gingen in ihrer Wut so weit, dass sie behaupteten, die Besetzung des Kapitols sei nicht das Werk eines wahren, sondern eines vorgespiegelten Krieges, bloß dazu veranstaltet, den Eifer der Bürger von der Betreibung des Gesetzes abzulenken. Wenn die Gastfreunde und Schützlinge der Adligen sähen, dass man das Gesetz, ohne sich an ihren Lärm zu kehren, durchgesetzt habe, würden sie noch stiller, als sie gekommen wären, abziehen.6 Darauf beriefen sie zur Durchdringung des Gesetzes eine Versammlung ein, zu welcher sie das Volk von den Waffen abriefen. Unterdessen hielten, weil die neue Gefahr von Seiten der Tribunen sich drohender zeigte als die vom nächtlichen Überfall des Feindes, die Konsuln eine Senatssitzung ab.
(17) Als gemeldet wurde, die Bürger legten die Waffen nieder und verließen ihren Posten, eilte Publius Valerius, während sein Amtsgenosse den Senat beisammen hielt, aus dem Rathaus, gerade auf den Versammlungsplatz zu den Tribunen.
2 Was ist das für ein Beginnen, rief er, ihr Tribunen? Wollt ihr unter Anführung und Obhut eines Appius Herdonius den Staat umstürzen? So ganz gelang es ihm, euch zu verführen, da seine Aufforderung nicht einmal bei euren Sklaven Eingang fand? Während uns die Feinde auf den Fersen sind, sollen wir die Waffen niederlegen und auf Verordnungen antragen? 3 Hier wandte er seine Rede an die Menge. Wenn ihr, Quiriten, für eure Stadt, für euer eigenes Wohl kein Gefühl habt, so achtet doch eure Götter, die der Feind gefangen hält! Der allmächtige Jupiter, die Königin Juno, Minerva und so viele Götter und Göttinnen sind von Feinden umringt! Ein Sklavenlager umschließt die Schutzgötter eures Staates! – 4 Könnt ihr hierin das Bild eines gesunden Staates sehen? Nicht bloß innerhalb der Mauern, sogar auch auf der Burg, über dem Markt und über dem Rathaus sind Scharen von Feinden; und unterdessen wird auf dem Markt Volkstag gehalten; der Senat ist auf dem Rathaus; nicht anders, als in der tiefsten Ruhe, trägt der Ratsherr seine Meinung vor, und die übrigen Quiriten schreiten zur Stimmensammlung. 5 Musste nicht alles, was Väter und Bürger heißt, müssten nicht Konsuln, Tribunen, Götter und Menschen, alle bewaffnet zur Hilfe aufstehen, auf das Kapitol eilen und jenem ehrwürdigen Wohnsitz des allmächtigen Jupiter Freiheit und Ruhe wiedergeben? 6 Vater Romulus, verleihe du deinen Nachkommen deine Fassung, mit der du einst diese Burg, welche ebendiese Sabiner durch Gold erobert hatten, wiedergewannst! Lass sie denselben Weg hinan gehen, auf welchem du Führer warst und dein Heer dir nachzog! Sieh herab auf mich; ich als Konsul gehe voran, dir und deiner Spur, soweit ein sterblicher einem Gott nachstreben kann, zu folgen. 7 Am Schluss seiner Rede sagte er, er greife zu den Waffen und rufe alle Quiriten zu den Waffen. Wer sich widersetze, den werde er, ohne auf seine bloß konsularischen Rechte, ohne auf tribunizische Macht und beschworene Gesetze Rücksicht zu nehmen – wer er auch sei und wo er auch sei, auf dem Kapitol oder auf dem Markt –, als Feind betrachten. 8 Die Tribunen möchten es versuchen, weil sie doch gegen Appius Herdonius die Waffen zu ergreifen verböten, sie gegen den Konsul Publius Valerius aufzubieten, dann werde er gegen die Tribunen dasselbe wagen, was der Stifter seines Stammes gegen die Könige gewagt habe.
9 Man sah offenbar, es werde zum gewalttätigsten Ausbruch kommen und die Zwietracht der Römer den Feinden ein Schauspiel gewähren; dennoch konnte weder der Vorschlag durchdringen, noch der Konsul aufs Kapitol ziehen. Die Nacht unterbrach den schon beginnenden Kampf; aus Furcht vor den Waffen der Konsuln gaben die Tribunen beim Einbruch der Nacht nach.
10 Als sich die Anführer des Aufruhrs entfernt hatten, gingen die Väter bei den Bürgern herum, mischten sich in ihre Zirkel, sprachen mit ihnen, wie es die Umstände verlangten, und forderten sie auf, zu bedenken, in welche Gefahr sie den Staat stürzten. 11 Dies sei ja kein Streit zwischen Vätern und Bürgern, sondern Väter und Bürger zugleich, die Burg der Stadt, die Tempel der Götter, die Schutzgötter des Staats und jedes Einzelnen würden dem Feind preisgegeben. 12 Während dies auf dem Markt zur Beseitigung des Zwistes besprochen wurde, hatten die Konsuln an den Toren und auf den Mauern gegen einen zu erwartenden Angriff der Sabiner und Vejenter Vorkehrungen getroffen.
(18) In derselben Nacht hatte man auch zu Tuskulum die Eroberung der Burg, die Besetzung des Kapitols und den sonstigen verwirrten Zustand der Stadt erfahren. Lucius Mamilius war Diktator zu Tuskulum. 2 Er berief sogleich den Senat, ließ die Boten vor und drang darauf, nicht so lange zu warten, 3 bis von Rom Gesandte mit der Bitte um Hilfe ankämen. Schon die Gefahr selbst, die drohende Entscheidung, die Götter des Bundes und die Pflicht des Vertrages fordere sie. Eine so gute Gelegenheit, sich einen so mächtigen, so nahen Staat verbindlich zu machen, würden die Götter nie wieder verleihen. 4 Die Hilfeleistung wurde beschlossen, Mannschaft aufgeboten und Waffen wurden ausgeteilt. 5 Als sie mit Tagesanbruch vor Rom ankamen, hielt man sie in der Ferne für Feinde, man glaubte Aequer oder Volsker heranrücken zu sehen. Als aber die bloß eingebildete Gefahr vorüber war, ließ man sie in die Stadt, und sie zogen auf den Markt hinab. 6 Hier war Publius Valerius, der seinen Amtsgenossen bei den Posten an den Toren gelassen hatte, schon mit Aufstellung einer Schlachtreihe beschäftigt. Das Ehrenwort des Mannes hatte bei den Bürgern Eindruck gemacht. Wenn sie nach Wiedereroberung des Kapitols und nach Beruhigung der Stadt sich belehren lassen wollten, was für geheime Ränke die Tribunen bei Beantragung dieses Gesetzes beabsichtigten, so wolle er, eingedenk seiner Ahnen, eingedenk seines Zunamens, mit welchem ihm die Sorge für das Volk von seinen Ahnen gleichsam erblich übertragen sei, in der Versammlung der Bürger keine Störungen verursachen.
7 Sie überließen sich seiner Führung, ohne sich durch das Gegengeschrei der Tribunen umstimmen zu lassen, und rückten in Schlachtordnung den Capitolinischen Hügel hinauf. Die Legion Tuskulaner schloss sich an. Bundesgenossen und Bürger wetteiferten, wer von beiden die Ehre der Wiedereroberung der Burg für sich erringen werde. Beide Feldherren sprachen den Ihrigen Mut ein. 8 Jetzt waren die Feinde in Verlegenheit, nur auf den Ort konnten sie sich verlassen. Auf die Bestürzten unternahmen Römer und Bundesgenossen den Angriff. Schon waren sie bis in den Vorhof des Tempels vorgedrungen, als Publius Valerius, der an der Spitze den Kampf anfeuerte, fiel. 9 Der Konsular Publius Volumnius sah ihn sinken, befahl seinen Leuten, den Leichnam zu decken, und eilte voran an die Stelle und den Posten des Konsuls. In der Hitze des Angriffs blieb ein so wichtiges Ereignis dem Soldaten unbemerkt: Er hatte schon gesiegt, ehe er merkte, dass er ohne Feldherrn focht.
10 Nun floss der Tempel vom Blut der Vertriebenen; viele wurden ergriffen, Herdonius fiel. So war das Kapitol wiedergewonnen. Die Hinrichtung der Gefangenen war ihrem Stande gemäß, je nachdem einer Freier oder Sklave war.41 Den Tuskulanern dankte der Senat. Das Kapitol wurde gereinigt und entsühnt. 11 In das Haus des Konsuls sollen die Bürger Viertel-Asse42 hineingeworfen haben, damit er feierlicher bestattet würde.
(19) Nach Wiederherstellung des Friedens drangen die Tribunen in die Väter, das Wort des Publius Valerius zu lösen, und in Claudius, seinen Amtsgenossen nicht im Grab zum Lügner zu machen und die Verhandlungen über das Gesetz zu gestatten. Der Konsul sagte, bevor er nicht seinen Amtsgenossen durch die Nachwahl ersetzt habe, werde er keine Verhandlungen über das Gesetz gestatten. 2 Diese