Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Rom Quintus Fabius, Publius Volumnius und Aulus Postumius, um sich über die Gewalttätigkeit zu beklagen und dem Friedensschluss gemäß Genugtuung zu fordern. 7 Der Feldherr der Aequer hieß sie ihre Aufträge vom römischen Senat an die Eiche bestellen: Er habe unterdessen andere Dinge zu tun. Über sein Hauptzelt nämlich ragte ein großer Eichenbaum, und in dessen Schatten war ein kühler Sitz. 8 Da sprach einer der Gesandten im Weggehen: Diese geheiligte Eiche und alle Götter mögen es hören, dass ihr den Frieden gebrochen habt, mögen sie jetzt unserer Klagen und bald unserer Waffen sich annehmen, wenn wir für die von euch zugleich verletzten göttlichen und menschlichen Rechte Rache nehmen werden. 9 Als die Gesandten nach Rom zurückkamen, befahl der Senat dem einen Konsul, mit einem Heer gegen Gracchus auf den Algidus zu gehen, dem andern stellte er die Plünderung des Äquischerlandes zur Aufgabe. Die Tribunen widersetzten sich nach ihrer Gewohnheit der Werbung, und vielleicht hätten sie es aufs Äußerste getrieben, wenn nicht plötzlich ein neuer Schrecken aufgetreten wäre.
(26) Feindlich plündernd kam eine ungeheure Masse Sabiner nahe an die Stadtmauern. Die Äcker wurden arg mitgenommen und die Stadt in Schrecken gesetzt. Da griffen die Bürger gern zu den Waffen. Gegen alle Einwendungen der Tribunen wurden zwei große Heere geworben. 2 Das eine führte Nautius gegen die Sabiner, schlug sein Lager bei Eretum auf und richtete auf kleinen Streifzügen, meistens durch nächtliche Einfälle, im sabinischen Gebiete eine solche Verwüstung an, dass im Vergleich mit dieser das römische Gebiet vom Kriege fast unberührt schien.
3 Minucius hatte in der Ausführung seiner Aufgabe weder dasselbe Glück noch dieselbe Geisteskraft. Denn da er in des Feindes Nähe sein Lager aufgeschlagen hatte, hielt er sich, ohne eine bedeutende Niederlage erlitten zu haben, zaudernd im Lager. 4 Als dies die Feinde merkten, wuchs ihnen natürlich bei der Furchtsamkeit ihres Gegners der Mut; und da ihnen in einem nächtlichen Angriff der dreiste Sturm nicht sonderlich gelang, umgaben sie das Lager am folgenden Tag mit Verschanzungen. Ehe diese durch den ringsum aufgeworfenen Wall die Ausgänge schlossen, entkamen fünf Reiter durch die feindlichen Posten und meldeten in Rom die Einschließung des Konsuls und des Heeres. 5 Nichts konnte so unvermutet und so ganz gegen die Erwartung eintreten. Darum waren auch der Schrecken und die Bestürzung so groß, als hätten die Feinde die Stadt, nicht das Lager eingeschlossen. 6 Der Konsul Nautius wurde zurückberufen. Da man sich aber durch ihn noch nicht geschützt genug hielt und es nötig fand, einen Diktator zu wählen, der imstande sei, die schlimme Sache wieder gutzumachen, so wurde Lucius Quinctius Cincinnatus einstimmig dazu ernannt.
7 Aufmerken mögen hier diejenigen, in deren Augen alles im menschlichen Leben dem Reichtum nachsteht, die ein hohes Ehrenamt oder Verdienst immer an seiner unrechten Stelle finden, außer wo Vermögen in vollen Strömen sich sammelt. 8 Der einzige für die Oberherrschaft Roms zu erwartende Retter, Lucius Quinctius, bebaute jenseits des Tibers, gerade dem Platz gegenüber, wo jetzt die Werften sind, ein Grundstück von vier Morgen, welches jetzt die Quinctische Wiese heißt. 9 Hier baten ihn die Gesandten, wie er entweder beim Grabenziehen sich auf den Spaten stemmte oder pflügte, wenigstens, was man gewiss weiß, mit einer Landarbeit beschäftigt war, nach gegenseitiger Begrüßung, er möge zum Segen für ihn selbst und für den Staat die Anträge des Senates in der Toga vernehmen. Voll Verwunderung und unter Fragen, ob nicht alles gut stehe, hieß er seine Gattin Racilia eilends die Toga aus der Hütte herbringen. 10 Als er sich den Staub und Schweiß abgewischt hatte und nun gekleidet auftrat, begrüßten ihn die Glück wünschenden Gesandten als Diktator, beriefen ihn zur Stadt und schilderten ihm die Gefahr des Heeres. 11 Das Schiff zur Abholung des Quinctius gab der Staat; nach seiner Überfahrt empfingen ihn drei Söhne, die ihm entgegengegangen waren; weiterhin die anderen Verwandten und Freunde, zuletzt der größere Teil der Väter. Diese zahlreiche Umgebung geleitete ihn unter Vortritt der Liktoren bis an sein Haus. 12 Auch der Zulauf der Bürgerschaft war groß, doch sah diese den Quinctius gar nicht zu ihrer Freude, weil sie teils die Gewalt seines Amtes für zu groß, teils ihn selbst für den Mann hielt, der eben in dieser Amtsgewalt noch strenger sein werde. Doch in dieser Nacht begnügte man sich, in der Stadt Wachen auszustellen.
(27) Als der Diktator noch vor Anbruch des folgenden Tages auf den Markt gekommen war, ernannte er zum Magister Equitum den Lucius Tarquitius, aus adligem Geschlecht, der unter allen jungen Männern Roms, obgleich er aus Armut zu Fuß gedient hatte, bei Weitem als der erste Krieger galt. 2 Mit dem Magister Equitum trat er in die Versammlung, kündigte einen Gerichtsstillstand an, ließ in der ganzen Stadt die Kaufläden schließen und untersagte die Betreibung jedes Privatgeschäftes. 3 Dann hieß er alle vom dienstfähigen Alter bewaffnet, mit Mundvorrat auf fünf Tage und zwölf Schanzpfählen vor Sonnenuntergang auf dem Marsfeld erscheinen; 4 wer zum Dienst zu alt sei, solle dem diensttuenden Nachbarn, während dieser seine Waffen instand setze und Schanzpfähle hole, die Speisen bereiten. 5 Nun liefen die Jünglinge umher, sich Pfähle zu holen; jeder nahm sie, wo er sie zunächst fand, ohne von jemand gehindert zu werden; und alle stellten sich dem Befehl des Diktators ungesäumt. 6 Nach Anordnung des Zuges führte der Diktator selbst das Fußvolk, der Magister Equitum seine Reiterei; zum Treffen erforderlichenfalls in so guter Verfassung wie zum Marsch. In beiden Zügen hörte man Ermunterungen, wie die Lage der Dinge sie forderte. 7 Sie möchten den Schritt verdoppeln, es sei Eile nötig, um in der Nacht an den Feind kommen zu können; ein römischer Konsul sei mit seinem Heer eingeschlossen, schon drei Tage umringt; man könne nicht wissen, was jeden Tag, jede Nacht sich ereignen könne; oft beruhe die Entscheidung der wichtigsten Dinge auf einem Augenblick. Auch riefen sie selbst, um sich den Heerführern gefällig zu machen, untereinander: 8 Fähnrich, beeile dich! Folge ihm, Kamerad! Um Mitternacht erreichten sie den Algidus, und als sie merkten, dass sie dem Feind schon nahe waren, machten sie Halt.
(28) Hier befahl der Diktator, der das feindliche Lager umritt und, soviel Übersicht ihm die Nacht gestattete, die Lage und Gestalt desselben in Augenschein nahm, den Obersten, die Soldaten ihr Gepäck zusammenwerfen und sie dann wieder mit ihren Waffen und Schanzpfählen in die Glieder treten zu lassen. Der Befehl wurde vollzogen. 2 Darauf stellte er in der Ordnung, die sie unterwegs gehabt hatten, das ganze Heer in einem langen Zug um das feindliche Lager, befahl allen, auf ein gegebenes Zeichen ein Geschrei zu erheben, und dann solle jeder an seiner Stelle einen Graben ziehen und einen Wall aufwerfen.
Der Bekanntmachung des Befehls folgte das Zeichen. 3 Der Soldat vollzog, was ihm befohlen war. Geschrei umtönte die Feinde. Es scholl über das feindliche Lager weg und drang zum Lager des Konsuls. Dort erregte es Bestürzung, hier außerordentliche Freude. 4 Die Römer, die sich einander Glück wünschend zuriefen, das sei ein Geschrei von Landsleuten, und es sei Entsatz gekommen, setzten nun selbst von den Posten und Wachen aus den Feind in Schrecken. 5 Der Konsul versicherte, sie dürften nicht säumen. Jenes Geschrei bedeute nicht bloß die Ankunft der Ihrigen, sondern den schon gemachten Angriff, und es solle ihn wundern, wenn das feindliche Lager nicht schon von außen bestürmt werde. So hieß er die Seinigen zu den Waffen greifen und ihm folgen. 6 Noch in der Nacht begannen seine Legionen den Kampf und gaben dem Diktator durch ein Geschrei zu verstehen, dass auch von ihrer Seite es zum entscheidenden Kampf gekommen sei.
7 Eben schickten die Aequer sich an, ihre Einschließung durch das Pfahlwerk zu verhindern, als sie auf das von dem inneren Feinde eröffnete Gefecht aus Furcht, er möchte mitten durch ihr Lager brechen, von den Schanzenden sich gegen den Angriff von innen wandten und die Fortsetzung der Werke die Nacht über ungestört ließen. So kämpften sie mit dem Konsul bis zum Anbruch des Tages.
8 Um diese Zeit waren sie schon vom Diktator umpfählt und dabei kaum dem Gefecht mit einem Heer gewachsen. Nun wurde vom Quinctischen Heer, das sogleich nach Vollendung der Werke die Waffen wieder ergriff, ihr Wall angegriffen; hier drohte ein neuer Kampf, und der andere hatte noch nicht nachgelassen. 9 In dieser Not von beiden Seiten baten sie, vom Kampf zum Flehen gestimmt, hier den Diktator, dort den Konsul, sie möchten den Sieg nicht in ihrer Vertilgung suchen; sie möchten sie entwaffnet abziehen lassen.
Vom Konsul wurden sie an den Diktator gewiesen, der sie aus Erbitterung noch mit Schimpf belegte. 10 Er befahl ihnen, ihren Anführer Gracchus Coelius und andere Vornehme gefesselt vor ihn zu bringen und aus der Stadt Corbio abzuziehen. Nach dem Blut der Aequer verlange ihn nicht, sie könnten abziehen; um ihnen aber endlich einmal das Geständnis abzuzwingen, dass ihr Volk bezwungen und gebändigt sei, sollten sie unter einem Jochgalgen abziehen. 11 Von drei Spießen wurde ein Jochgalgen gemacht,