Römische Geschichte. Livius Titus

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Römische Geschichte - Livius Titus


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sie gehörten ganz der Person, nicht der Sache, denn Gunst galt bei ihnen für Recht. 8 Ihre Rechtssprüche schmiedeten sie daheim; vor Gericht ließen sie dieselben hören. Tat jemand Ansprache an einen aus ihrer Mitte, so wurde er von dem, an den er sich wandte, so entlassen, dass es ihn reute, es nicht bei dem Ausspruch des Ersten gelassen zu haben. 9 Auch verbreitete sich ein unverbürgtes Gerücht: Sie hätten sich zu diesen Bedrückungen nicht bloß für die Gegenwart verabredet, sondern einen geheimen Bund unter sich beschworen, keinen Wahltag zu halten und durch ein fortgesetztes Dezemvirat die einmal in Besitz genommene Gewalt zu behaupten.

      (37) Darauf sahen die Bürgerlichen auf die Patrizier und haschten bei ihnen nach jeder Hoffnung von Freiheit, da sie doch eben durch die Furcht, von dort aus unterdrückt zu werden, den Staat in diese Lage gebracht hatten. 2 Die vornehmsten der Väter hassten die Dezemvirn und den Bürgerstand. Sie billigten nicht, was geschah, und glaubten doch, er leide nicht unverdient. Sie hatten keine Lust, Leuten zu helfen, die im gierigen Drang nach Freiheit in Knechtschaft geraten wären; ja sie suchten die Bedrückungen zu häufen, 3 damit man endlich aus Unzufriedenheit mit der Gegenwart wieder zwei Konsuln und die ehemalige Lage der Dinge wünschenswert finden möge.

      4 Schon war der größere Teil des Jahres verstrichen, die zwei Gesetztafeln waren zu den vorjährigen zehn schon nachgeliefert, und wenn auch diese auf einem Volkstag durch die Stimmen der Zenturien zu Gesetzen erhoben waren, so war weiter kein Grund da, warum der Staat dieses Amtes bedurft hätte. 5 Alle erwarteten die baldige Ankündigung eines Versammlungstages zur Konsulwahl. Der Bürgerstand war nur darauf bedacht, auf irgendeine Weise die tribunizische Gewalt, dies Bollwerk seiner Freiheit, das er selbst aufgegeben hatte, wiederherzustellen. 6 Unterdessen war gar keine Rede von Wahlversammlungen; und die Dezemvirn, die anfangs immer, weil dies für volkstümlich galt, umringt von gewesenen Tribunen vor dem Volk aufgezogen kamen, hatten jetzt junge Patrizier an ihrer Seite. Scharenweise hielten diese die Gerichtsstühle umlagert. 7 Sie schalteten und walteten mit dem Bürgerstand, mit seinen Angelegenheiten und seinem Eigentum, weil dem Mächtigeren alles, wonach ihn gelüstete, zugesprochen wurde. 8 Bald ging es auch an Leib und Leben: Es gab Rutenhiebe, andere traf das Beil, und um die Grausamkeit nicht umsonst zu üben, folgte auf die Hinrichtung des Besitzers die Verschenkung seiner Güter. Dieser Lohn bestach die jungen Adligen, sich den Bedrückungen nicht nur nicht zu widersetzen, sondern öffentlich ihre eigene Ungebundenheit der allgemeinen Freiheit vorzuziehen.

      (38) Der 15. Mai kam heran. An ihre Stelle hatten die Dezemvirn keine neue Obrigkeit wählen lassen: Es traten also in ihnen nicht Dezemvirn, sondern Privatleute auf, obgleich sie weder am Willen, ihre Gewalt auszuüben, noch selbst im Äußeren an ihren Ehrenzeichen das Mindeste abgehen ließen. 2 Das erschien nun ganz offenbar wie Königtum. Die Freiheit wurde auf ewig verlorengegeben; kein Retter stand auf, und man sah auch keinen für die Zukunft. Nicht genug, dass den Römern selbst der Mut sank, schon erhob sich unter den benachbarten Völkern Verachtung; es verdross sie, sich von denen beherrschen zu lassen, die nicht einmal Freiheit hätten. 3 Mit einer großen Schar machten die Sabiner einen Einfall in das römische Gebiet, und als sie nach weit verbreiteter Plünderung Beute an Menschen und Vieh ungestraft davongeführt hatten, schlugen sie bei Eretum, wo sich ihr Heer aus seiner weiten Zerstreuung sammelte, ein Lager auf, voll Vertrauen auf die Uneinigkeit in Rom, die keine Werbung zulassen werde. 4 Nicht bloß diese Nachrichten, sondern schon durch die Straßen flüchtende Landleute setzten alles in Verwirrung. Die Dezemvirn berieten, was zu tun sei. Zwischen dem Hass der Väter und der Bürgerlichen standen sie verlassen da, 5 und noch einen zweiten Schrecken schickte ihnen das Schicksal zu. Die Aequer hatten auf einer andern Seite, auf dem Algidus, ein Lager aufgeschlagen, und Gesandte von Tuskulum, welche um Verstärkung bitten, bringen die Botschaft, dass die Feinde auf ihren Streifzügen von dort aus das tuskulanische Gebiet verheert hätten. 6 In dieser Angst sahen sich die Dezemvirn genötigt, da zwei Kriege zugleich die Stadt bedrohten, den Senat anzugehen. Sie gaben Befehl, die Väter nach dem Rathaus zu berufen, obgleich sie sich nicht verhehlten, 7 dass ein großer Sturm des Hasses sie bedrohe, von den Verheerungen im Land, von den hereinbrechenden Gefahren würden alle die Schuld auf sie laden; dies werde zu dem Versuche führen, ihnen das Amt zu nehmen, wenn sie nicht einmütig sich zur Wehr setzten und dadurch, dass sie gegen einige zu Vorlaute von ihrer Gewalt nachdrücklichen Gebrauch machten, die Angriffe der Übrigen niederschlügen.

      8 Als man auf dem Markt die Stimme des Herolds vernahm, der die Väter auf das Rathaus zu den Dezemvirn berief, machte dies, weil sie die Sitte, den Senat zu befragen, schon lange unterlassen hatten, als etwas Ungewöhnliches die Bürger aufmerksam, die sich darüber wunderten, was doch vorgefallen sein möchte, dass man eine seit so langer Zeit abgekommene Sitte wieder in Anwendung bringe. 9 Man müsse es den Feinden und dem Krieg Dank wissen, wenn irgendetwas geschehe, was in einem freien Staat üblich sei. In allen Teilen des Marktes spähte man nach einem Ratsherrn und bemerkte kaum einen oder den andern; dann sah man wieder auf das Rathaus und die Leere um die Dezemvirn, 10 in welcher sie selbst den allgemeinen Hass gegen ihre Regierung, die Bürger hingegen den Vorsatz der Väter fanden, sich denen nicht zu stellen, die als Nichtbeamte kein Recht hätten, den Senat zu berufen. Schon zeige sich für die Wiedereroberer der Freiheit ein Haupt, wenn sich die Bürger nur an den Senat anschlössen, wenn die Bürger ebenso wie die aufgeforderten Väter nicht in den Senat kämen, sich der Werbung entzögen. 11 So murrten die Bürgerlichen laut.

      Von den Vätern war beinahe kein einziger auf dem Markt und nur wenige in der Stadt. Aus Ärger über ihr Schicksal hatten sie sich auf ihre Güter zurückgezogen und lebten nur ihren Angelegenheiten, da man ihnen die öffentlichen genommen hatte, mit dem Gedanken, sich auf diese Weise viel mehr vor Kränkungen gesichert zu haben, je weiter entfernt sie von der Verbindung und dem Umgang mit übermütigen Herrschern wären. 12 Als sie sich auf die Forderung nicht einfanden, wurden ihnen Gerichtsboten in die Häuser geschickt, zugleich zur Wegnahme eines Pfandes, zugleich auch auf Erkundigung, ob sie absichtlich unfolgsam wären; und diese brachten die Nachricht, die Väter wären auf ihren Landsitzen. Dies war den Dezemvirn erfreulicher zu hören, als wenn es geheißen hätte, sie wären zur Stelle und entzögen sich dem Befehl. 13 Sie ließen alle hereinrufen und beriefen den Senat auf den nächsten Tag, an welchem er auch weit zahlreicher, als sie erwartet hatten, zusammenkam. Dadurch war nun nach der Meinung der Bürger die Freiheit von den Vätern verraten, insofern der Senat Männern, die ihr obrigkeitliches Amt schon niedergelegt hätten und, wenn sie die Gewalt nicht beibehielten, völlig ohne Amt wären, geradeso gehorcht habe, als ob sie ihn rechtmäßig berufen könnten.

      (39) Allein so folgsam sich die Väter im Rathaus eingestellt hatten, so wenig Unterwürfigkeit verrieten laut den Nachrichten darüber ihre abgegebenen Stimmen. 2 Ehe noch über den von Appius Claudius gehaltenen Vortrag die Stimmen der Reihe nach vernommen wurden, machte Lucius Valerius Potitus, wie die Überlieferung sagt, durch seine Forderung, über die Lage des Staates reden zu dürfen, und als ihm dies die Dezemvirn drohend untersagten, durch seine Versicherung, dann werde er vor dem Volk auftreten, den Anfang zum Aufstand. 3 Ebenso mutig soll Marcus Horatius Barbatus in die Schranken getreten sein, der die Dezemvirn die zehn Tarquinier nannte und daran erinnerte, dass man unter Anführung eines Valerius und Horatius auch die Könige vertrieben habe. 4 Der Name sei es nicht gewesen, dessen damals die Leute überdrüssig geworden wären, denn den dürfe man ja auch dem Jupiter beilegen, auch führe Romulus, der Stifter der Stadt, und alle Könige nach ihm diesen Namen; man habe ihn ferner bei gottesdienstlichen Verrichtungen als ganz gewöhnlich beibehalten. 5 Denn Stolz und Gewalttätigkeit des Königs sei damals der Gegenstand des Hasses geworden, und habe man diese an dem damals einzigen König oder an einem Sohn des Königs unerträglich finden müssen, wer sie sich denn von so vielen Privatleuten gefallen lassen werde? 6 Sie möchten sich hüten, dass sie durch ihr Verbot, im Rathaus frei zu reden, die Stimmen auch außerhalb des Rathauses weckten. Auch sehe er nicht ein, warum es ihm, selbst ohne Amt, weniger zustehen solle, das Volk zur Versammlung zu rufen, als ihnen, den Senat zu versammeln. 7 Wenn sie Lust hätten, möchten sie die Probe machen, ob bei der Wiederherstellung der Freiheit der Schmerz mehr Kraft verleihe oder die Begierde, eine ungerechte Herrschaft zu behaupten. 8 Sie trügen auf einen Krieg mit den Sabinern an, als ob dem römischen Volk ein Krieg wichtiger sein könne, als gegen die, welche, zur Gesetzgebung gewählt, nicht das mindeste Recht im Staat übriggelassen, die alle Wahlversammlungen, jährliche Obrigkeiten und den Wechsel in der Regierung, dies einzige Mittel zur Erhaltung


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