Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Vermutung, soweit sie bei dem großen Abstand der Zeiten reicht, ist diese: Die Konsuln trugen Bedenken, da der Senat den Konsuln Valerius und Horatius den Triumph abgeschlagen hatte, welche sich außer der Besiegung der Volsker und Aequer auch den Ruhm des beendeten Sabinerkrieges erworben hatten, für die Hälfte des Verdienstes um den Triumph nachzusuchen, zugleich auch, damit es, wenn man ihn bewilligt hätte, nicht scheinen möchte, man habe mehr auf die Personen als auf das Verdienst Rücksicht genommen.
(71) Diesen ehrenvollen Sieg über die Feinde schändete daheim der schimpfliche Richterspruch des Volkes in einer Grenzstreitigkeit seiner Bundesgenossen. 2 Die Ariciner und Ardeaten, die über einen streitigen Acker öfter Krieg geführt hatten, nahmen, der vielen gegenseitigen Niederlagen müde, das römische Volk zum Schiedsrichter an. 3 Als sie ihre Sache vorzutragen sich eingefunden hatten, kamen sie in der Versammlung des Volkes, welche ihnen die Obrigkeiten dazu angesetzt hatten, hart aneinander. Und schon sollten nach Anhörung der Zeugen die Bezirke aufgerufen werden und das Volk zur Stimmensammlung schreiten, da trat ein gewisser Publius Scaptius vom Bürgerstand auf, ein hochbetagter Mann, und sagte: Wenn es erlaubt ist, ihr Konsuln, in einer Angelegenheit des Staates zu reden, so möchte ich das Volk in dieser Sache nicht gern im Irrtum lassen. 4 Da die Konsuln sagten, man müsse auf einen leeren Schwätzer nicht hören, und ihn auf sein Geschrei, das Beste des Staates werde aufgeopfert, entfernen wollten, sprach er die Tribunen an. 5 Die Tribunen, wie sie beinahe immer von der Menge mehr geleitet werden als dieselbe leiten, taten der Neugier des Volkes den Gefallen und ließen den Scaptius sagen, was er wollte. 6 Nun fing er an, er stehe im 83. Jahr und habe auf der Feldmark, von der die Rede sei, als Soldat gestanden, nicht als junger Mensch, sondern schon in seinem 20. Dienstjahr, in dem Krieg bei Corioli. Er könne also die Wahrheit der Sache angeben, weil sie sich, so veraltet sie sei, seinem Gedächtnis tief eingeprägt habe. 7 Das streitige Land habe zum Gebiet der Coriolaner gehört; nach Eroberung von Corioli sei es dem Kriegsrecht gemäß ein Staatseigentum des römischen Volkes geworden. Er wundere sich, wie die Ardeaten und Ariciner hoffen könnten, das römische Volk, welches sie vom Besitzer zum Schiedsrichter machten, um ein Stück Land zu betrügen, worauf sie, solange Corioli als Staat bestanden habe, nie Anspruch gemacht hätten. 8 Er habe noch wenig Zeit zu leben übrig, doch habe er es sich selbst nicht versagen können, ein Feld, an dessen Eroberung auch er als Soldat teilgenommen, auch als Greis mit der einzigen ihm gebliebenen Waffe, mit seinem Mund, dem rechten Herrn zu erhalten. Er rate dem Volk ernstlich, nicht aus unnützer Bescheidenheit gegen seine eigene Sache zu sprechen.
(72) Als die Konsuln bemerkten, dass Scaptius nicht bloß mit Stillschweigen, sondern auch mit Beifall gehört wurde, riefen sie Götter und Menschen zu Zeugen an, dass eine große Schandtat im Werk sei, und holten die Ersten der Väter herbei. 2 Mit diesen gingen sie bei den Tribunen herum und baten sie, sie möchten das Volk nicht eine so schimpfliche Untat zu noch schlimmerem Beispiel begehen lassen, dass es sich als Richter die streitige Sache selbst zuspräche, noch dazu, da man, falls es auch einem Richter erlaubt würde, für seinen eigenen Vorteil zu sorgen, an dem Stück Land, das man zu unterschlagen denke, bei Weitem nicht so viel gewinne, als man an der Zuneigung der Bundesgenossen verliere, die man sich durch die Ungerechtigkeit zu Feinden mache. 3 Der Nachteil vom Verlust des guten Namens und Vertrauens lasse sich gar nicht berechnen. Das würden nun die Gesandten nach Hause melden, das würde bekannt. Freunde und Feinde würden es erfahren; mit welcher Freude diese, mit welchem Schmerz jene! Ob sie denn glauben könnten, dass die benachbarten Völker dies dem Scaptius, einem alten Schwätzer, aufbürden würden? 4 Scaptius gebe dadurch seinem Ahnenbilde eine Berühmtheit; allein das römische Volk werde von nun an in der Rolle eines eigennützigen und betrügerischen Richters auftreten, der sich fremden Eigentums bemächtige, 5 denn welcher Richter in Privatsachen habe je das streitige Eigentum sich selbst zuerkannt? Das werde selbst Scaptius nicht einmal tun, wenn auch sein Schamgefühl schon ganz erstorben sei. 6 So riefen die Konsuln, so die Väter laut; allein die Habsucht und ihr Urheber Scaptius behielten die Oberhand. Die Bezirke gaben ihre Stimmen dahin ab: Der Acker sei ein Staatseigentum des römischen Volkes. 7 Ich leugne auch nicht, dass sich die Sache so verhalten habe, wenn sich nur die Parteien an andere Richter gewandt hätten; so aber wird durch die Gerechtigkeit der Sache die Schande des Spruches auf keine Weise gemildert, und er kam den Aricinern und Ardeaten nicht entehrender und härter als den römischen Vätern vor. Der Rest des Jahres blieb von inneren und äußeren Unruhen frei.
Viertes Buch
Inhalt
Der Vorschlag, die Ehen zwischen Adligen und Bürgerlichen betreffend, den die Volkstribunen mit Heftigkeit betreiben, wird bei allem Widerstand der Väter durchgesetzt. Kriegstribunen. Mehrere Jahre lang wird die Negierung des römischen Staates im Frieden und im Krieg durch diese Art von Obrigkeit verwaltet. Ferner wurden damals die ersten Zensoren gewählt. Das den Ardeaten durch den Richterspruch des römischen Volkes genommene Stück Land wird ihnen bei einer dort anzulegenden Kolonie wiedergegeben. Als das römische Volk an einer Hungersnot litt, ließ Spurius Maelius, ein römischer Ritter, auf seine Kosten dem Volk Getreide austeilen, und da er durch die Liebe der Bürger, die ihm dies gewann, König zu werden hofft, wird er von dem Anführer der Reiterei, Caius Servilius Ahala, auf Befehl des Diktators Quinctius Cincinnatus getötet; der Anzeiger Lucius Minucius wurde mit einem Ochsen und einem Standbild beschenkt. Den von den Fidenaten erschlagenen römischen Gesandten, die also im Dienst des Staates gefallen waren, werden Standbilder auf der Rednerbühne gesetzt. Der Kriegstribun Cornelius Cossus, der den König der Vejenter, Tolumnius, erschlagen hatte, bringt dem Feretrius die zweite Fürstenbeute. Der Diktator Mamercus Aemilius, der das Amt der Zensur, welches vorher fünfjährig war, auf eine Zeit von anderthalb Jahren beschränkte, wird dafür von den Zensoren mit einer schimpflichen Herabsetzung bestraft. Fidenae kommt in römische Gewalt, und man sendet Siedler hin. Die Fidenaten empören sich und ermorden jene, werden aber vom Diktator Mamercus Aemilius überwunden, und Fidenae wird erobert. Eine Verschwörung der Sklaven wird unterdrückt. Der Kriegstribun Postumius wird für seine Grausamkeit von seinem Heer erschlagen. Jetzt wurde den Soldaten zum ersten Mal Sold aus der Schatzkammer gegeben. Außerdem noch Taten gegen Volsker, Vejenter, Fidenaten, Falisker.
(1) Die folgenden Konsuln waren Marcus Genucius und Caius Curtius. Dieses Jahr brachte Widerwärtigkeiten von innen und von außen. Denn teils trug der Volkstribun Caius Canuleius gleich im Anfang des Jahres auf die Ehen zwischen den Adligen und Bürgerlichen an, 2 worin aber die Väter eine Entehrung ihres Blutes und eine Vermischung der den Stammhäusern eigenen Rechte zu finden glaubten, teils wurde damals zuerst von den Tribunen leise der Gedanke in Anregung gebracht, dass es erlaubt sein müsse, den einen Konsul aus dem Bürgerstand zu nehmen, und hernach kam es so weit, dass neun Tribunen den Vorschlag aushingen, es müsse dem Volk freistehen, die Konsuln nach Gefallen aus dem Bürgerstand oder aus den Vätern zu wählen. 3 Geschehe vollends dieses, so glaubten die Väter, sie würden die Regierung des Staates nicht bloß mit den Niedrigsten zu teilen haben, sondern sie werde ganz aus den Händen der Vornehmeren auf die Bürgerlichen übergehen. 4 Folglich freuten sie sich über die Nachrichten, dass die Ardeaten wegen des ihnen ungerechterweise abgesprochenen Landes das Bündnis aufgehoben, dass die Vejenter auf den Grenzen des römischen Gebietes geplündert und die Volsker und Aequer gegen die Befestigung von Verrugo sich laut erhoben hätten. So sehr zogen sie sogar einen unglücklichen Krieg einem schimpflichen Frieden vor. 5 Von dem allen machten die Väter noch mehr Aufheben, um unter dem Getöse so vieler Kriege die Tribunen mit ihren Vorschlägen zum Schweigen zu bringen, und sie befahlen, Werbungen zu halten, sich mit allen Kräften zum Krieg zu rüsten und womöglich noch mit größerer Anstrengung, als es unter dem Konsul Titus Quinctius geschehen war. 6 Da erklärte Caius Canulejus mit wenigen Worten im Senat laut, der Versuch der Konsuln, die Bürger durch jene Nachrichten von der Teilnahme an den neuen Vorschlägen abzuschrecken, sei umsonst; solange er lebe, sollten sie nie eine Werbung halten können, bevor nicht seine und seiner Amtsgenossen Vorschläge vom Bürgerstand genehmigt wären. Und sogleich berief er das Volk zur Versammlung.
(2) Zu gleicher Zeit also erbitterten die Konsuln den Senat gegen den Tribun und der Tribun das Volk gegen die Konsuln. Die Konsuln sagten, die Raserei der Tribunen sei nicht länger zu ertragen. Sie sei schon aufs Höchste gestiegen. Im Inneren würden mehr Kriege als auswärts angefacht. Allein die Schuld treffe nicht allein den Bürgerstand, sondern auch die Väter,