Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.der höchste Lohn auf Meuterei, und sowohl Einzelne als auch ganze Körperschaften seien dadurch immer zu Ehren gekommen. 4 Sie möchten es beherzigen, in welcher Größe ihnen ihre Väter die Würde des Senates hinterlassen hätten, und wie geschmälert sie ihren Kindern von ihnen werde überliefert werden. Ob sie ebenso wie die Bürgerlichen sich rühmen könnten, ihr Ansehen erweitert und erhöht zu haben? Darum finde hier keine Abgrenzung statt und werde auch nie stattfinden, solange die Stifter des Aufruhrs ebenso geehrt würden, als die Aufstände glücklich abliefen. 5 An wie viele und wichtige Dinge sich nicht ein Cajus Canuleius gewagt habe! Er vermische die Geschlechter, er stifte Verwirrung in der Befragung der Vögel von Seiten des Staates, von Seiten der Familien, damit alle Reinheit, alle Unbeflecktheit aufhöre und, wenn aller Unterschied aufgehoben sei, niemand weder sich selbst noch die Seinigen ferner kenne. 6 Was sonst für eine Folge die gemischten Ehen haben würden, als dass sich Bürgerliche und Adlige durcheinander, etwa wie das liebe Vieh, in wilder Mischung gatteten, so dass der aus einer solchen Ehe Entsprungene nicht wisse, zu welchem Blut, zu welchen Opfern er gehöre, halb ein Adliger, halb ein Bürgerlicher, mit sich selbst im Widerspruch stehe. 7 Nicht damit zufrieden, alles Göttliche und Menschliche so durcheinanderzuwerfen, wagten sich die Aufwiegler des Pöbels sogar an das Konsulat. Anfangs hätten sie es bloß gesprächsweise hingeworfen, dass doch nur der eine Konsul aus dem Bürgerstand gewählt werden dürfe, jetzt werde öffentlich darauf angetragen, dass das Volk beide Konsuln nach Gefallen aus den Vätern oder Bürgern nehmen solle. Und sicher werde man dann aus dieser Klasse den größten Aufrührer am liebsten wählen. Dann würden lauter Canuleier und Icilier Konsuln sein. 8 Möge doch das der allmächtige Jupiter verhüten, dass eine Regierung, mit königlicher Hoheit ausgestattet, so tief sinke; auch würden sie sich lieber einen tausendfachen Tod gefallen lassen, als solche Entehrungen zugeben. 9 Sie wären überzeugt, wenn ihre Vorfahren es hätten ahnen können, dass der Bürgerstand durch ihre beständigen Bewilligungen nicht gegen sie milder werden, sondern nur widerspenstiger von einer unbilligen Forderung zu noch unbilligeren fortgehen würde, sobald ihm die erste bewilligt wäre, 10 so würden auch sie sich lieber dem misslichsten Kampf unterzogen haben, ehe sie solche Vorschläge sich hätten aufbürden lassen. Weil man damals Tribunen bewilligt habe, habe man sie abermals bewilligen müssen. 11 Hier sei kein Ende zu erwarten. In einem Staat könnten Volkstribunen und Väter nicht bestehen. Entweder müsse man diesen Stand oder jenes Amt eingehen lassen und lieber später als nie der Frechheit und Unbesonnenheit entgegengehen. 12 Sei es denn nicht schändlich, dass jene Menschen zuerst als Stifter der Zwietracht die Nachbarn zu Kriegen reizten, dann gegen eben die Kriege, die sie veranlasst hätten, dem Staat alle Bewaffnung und Verteidigung untersagten, die Feinde so gut wie herbeiriefen und dennoch nicht gestatten wollten, dass gegen die Feinde Heere geworben würden, 13 sondern ein Canuleius die Frechheit habe, vor dem Senat auszurufen: Falls die Väter nicht zugeben würden, dass man sich seine Gesetze, als die eines Überwinders, gefallen lasse – werde er die Werbung untersagen? Könne dies etwas anderes als die Drohung sein, er wolle an seinem Vaterland zum Verräter werden, er wolle es belagern, erobern lassen? Mit welchem Mut müsse ein solcher Ausspruch – sie wollten nicht sagen, den römischen Bürgerstand, sondern – die Volsker, Aequer, Vejenter beseelen? 14 Ob sie nicht hoffen müssten, unter dem Anführer Canuleius das Kapitol und die Burg ersteigen zu können, wenn es den Tribunen gelingen sollte, den Vätern zugleich mit ihren Rechten und ihrer Würde auch den Mut zu entreißen? Die Konsuln seien bereit, sie eher gegen das Verbrechen der Bürger als gegen die Waffen der Feinde zu führen.
(3) Als gerade so im Senat gesprochen wurde, hielt Canuleius zugunsten seiner Vorschläge und gegen die Konsuln folgende Rede: 2 Die tiefe Verachtung, in welcher ihr, Quiriten, bei den Vätern steht, ihre Überzeugung von eurer Unwürdigkeit, mit ihnen in einer Stadt, innerhalb derselben Mauern zu leben, glaube ich zwar auch vormals oft bemerkt zu haben, 3 namentlich aber jetzt, da sie mit solcher Wut diese meine Anträge angreifen, in denen wir doch nichts anderes aussprechen, als dass wir ihre Mitbürger sind, und wenn wir gleich nicht dieselben Reichtümer haben, doch mit ihnen dieselbe Vaterstadt bewohnen. 4 In dem einen verlangen wir das Eherecht, das auch benachbarten Völkern und Auswärtigen bewilligt wird. Haben wir doch das Bürgerrecht, das viel wichtiger als das Eherecht ist, sogar besiegten Feinden gegeben. 5 In dem anderen bringen wir nichts Neues auf, sondern fordern nur das zurück und machen Gebrauch von dem, was dem Volk schon gehört, dass das römische Volk seine Ehrenämter anvertrauen dürfe, wem es will. 6 Kann hierin der Grund liegen, warum sie Himmel und Erde bewegen wollen, warum sie jetzt eben im Senat mich beinahe angriffen, drohen, sie würden es bis zu Tätlichkeiten treiben, erklären, sie würden selbst meines geheiligten Amtes nicht schonen? 7 Wenn also dem römischen Volk freies Stimmrecht gestattet wird, das Konsulat übertragen zu können, wem es will, und auch dem Bürgerlichen nicht alle Hoffnung abgeschnitten wird, falls er der höchsten Stelle würdig ist, die höchste Stelle zu erreichen, so soll unsere Stadt nicht länger stehen können, so soll es um unser Reich geschehen sein? Und heißt denn die Anfrage, ob ein Bürgerlicher Konsul werden könne, ebenso viel, als wenn jemand sagte, ein Sklave oder Freigelassener soll Konsul werden? 8 Fühlt ihr’s nun, ihr Quiriten, in welch tiefer Verachtung ihr lebt? Hinge es von ihnen ab, sie nähmen euch gern diesen Anteil am Tageslicht. Dass ihr atmet, dass ihr Töne der Sprache und Menschengestalt habt, ärgert sie. 9 Ja sie sagen sogar – dass es Gott erbarme –, es sei eine Sünde, einen Bürgerlichen zum Konsul zu machen! Ich bitte euch, wenngleich wir keinen Zutritt zu den Jahrbüchern, zu den Denkschriften der Oberpriester haben, sollten wir darum auch das nicht einmal wissen, was jeder Fremdling weiß, dass die Konsuln an die Stelle der Könige traten? Dass sie nicht das geringste Recht, nicht die geringste Würde haben können, die nicht vorher auf den Königen ruhte? 10 Nun aber sagt mir, ist das eine so unerhörte Geschichte, dass Numa Pompilius, dem so viel zum Patrizier fehlte, dass er nicht einmal römischer Bürger war, den man aus dem Sabinerlande holt, nach einer von den Vätern bestätigten Volkswahl den römischen Thron innegehabt habe? 11 Dass späterhin Lucius Tarquinius – nicht von römischem, nicht einmal von italischem Blut –, ein Sohn des Korinthers Damaratus, der bloß von Tarquinii herkam, noch bei Lebzeiten der Söhne des Ancus König wurde, 12 dass gleich nach ihm Servius Tullius, von einer corniculanischen Gefangenen geboren, von unbekanntem Vater, von einer Mutter, die Sklavin war, durch seinen Verstand und sein Verdienst zum Throne gelangt? Habe ich nötig, den Sabiner Titus Tatius anzuführen, den der Vater unserer Stadt, Romulus selbst, neben sich auf den Thron nahm? 13 So wuchs der römische Staat, weil man da, wo man hervorleuchtendes Verdienst sah, sich nie an Abkunft kehrte. Und wir sollten jetzt einen bürgerlichen Konsul unzulässig finden, da unseren Vorfahren Ankömmlinge als Könige nicht anstößig waren, und unsere Stadt auch nach Vertreibung der Könige ausländischem Verdienst nicht verschlossen wurde? 14 Wenigstens haben wir nach Vertreibung der Könige das Claudische Geschlecht aus dem Sabinerland nicht bloß in unser Bürgerrecht, sondern selbst in die Zahl der Patrizier aufgenommen. 15 Ein Ausländer also soll Patrizier und dann Konsul werden können, und einem geborenen Römer, wenn er vom Bürgerstand ist, soll alle Hoffnung auf das Konsulat abgeschnitten sein? 16 Sollen wir es wohl gar entweder für eine Unmöglichkeit halten, dass es im Bürgerstand einen wackern, verdienstvollen, im Frieden und Krieg brauchbaren Mann, einen zweiten Numa, Lucius Tarquinius, Servius Tullius geben könne? 17 Oder, wenn es ihn gibt, sollen wir ihn dessen ungeachtet nicht an das Staatsruder treten lassen und lieber Konsuln haben, die den Dezemvirn, diesen Scheusalen von Menschen, die damals alle aus dem Adel waren, ähnlicher sind als den freilich ahnenlosen, aber besten Königen?
(4) Allein seit Vertreibung der Könige ist noch nie ein Bürgerlicher Konsul gewesen. Und was nun weiter? Darf denn gar nichts Neues eingeführt werden? Und soll das, was noch nie geschah – und in einem jungen Volk ist vieles noch nie geschehen –, auch dann nicht einmal geschehen dürfen, wenn es nützlich ist? 2 Oberpriester, Augurn hatte man unter der Regierung des Romulus noch nicht; Numa Pompilius schuf sie. Es gab keine Schätzung im Staat, keine Einteilung in Zenturien und Klassen; 3 Servius Tullius machte sie. Konsuln waren nie gewesen; nach Vertreibung der Könige wurden sie gewählt, von einem Diktator kannte man weder Amt noch Namen; zu unserer Väter Zeiten kam beides auf. Volkstribunen, Ädilen, Quästoren waren nicht; es wurde festgesetzt, dass sie sein sollten. Dezemvirn zur Abfassung der Gesetze haben wir innerhalb dieser zehn Jahre gewählt und wieder aus dem Staat vertilgt. 4 Wer zweifelt daran, dass in einer