Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.komme Minucius mit dieser Anzeige beinahe schon zu spät, weil er nicht gern etwas Ungewisses und Grundloses habe berichten wollen.
10 Als auf diese Meldung die Häupter des Staates von allen Seiten den Konsuln des vorigen Jahres Vorwürfe machten, dass sie dergleichen Spenden und Versammlungen der Bürger im Haus eines Einzelnen hätten dulden können – und den neuen Konsuln, dass sie gesäumt hätten, bis ein Proviantmeister eine Sache von solcher Wichtigkeit zur Sprache brächte, die einen Konsul nicht bloß zur Anregung, sondern auch zur Bestrafung auffordere, 11 da sagte Titus Quinctius, die Konsuln hätten diese Vorwürfe nicht verdient, weil sie, gebunden durch die Gesetze der Ansprache, welche zur Vernichtung ihrer Macht gegeben wären, durchaus nicht so viel Kraft in ihrem Amt als eigenen Mut hätten, ein so grässliches Unternehmen gebührend zu bestrafen. Dazu gehöre ein Mann, der nicht bloß Festigkeit habe, sondern auch von den Banden der Gesetze frei und ledig sei. 12 Darum wolle er den Lucius Quinctius zum Diktator ernennen, dessen Gesinnung der hohen Macht dieses Amtes entspreche.
Während ihm alle beipflichteten, weigerte sich Quinctius anfangs und fragte sie, was ihnen das helfen könne, dass sie ihn am Ende seines Lebens einem so schweren Kampf aussetzten. 13 Als sie ihm aber von allen Seiten versicherten, sein gereifter Geist übertreffe nicht bloß an Weisheit, sondern auch an Festigkeit alle anderen, als sie ihn mit höchstverdienten Lobsprüchen überhäuften, und der Konsul von seiner Bitte nicht abstand, da ließ sich endlich Cincinnatus, 14 der in das Gebet ausbrach, die unsterblichen Götter möchten sein Alter dem Staat in dieser dringenden Not nicht zum Nachteil noch zur Unehre gereichen lassen, vom Konsul zum Diktator erklären. Er selbst ernannte dann den Caius Servilius Ahala zum Magister Equitum.
(14) Als er am folgenden Tag zu mehreren ausgestellten Posten auf den Markt gekommen war und alle über die neue unerklärliche Erscheinung die Augen auf ihn richteten, die Partei des Maelius samt ihrem Anführer einsah, dass dies Amt mit so hoher Gewalt ihnen selbst gelte, 2 alle Übrigen hingegen, mit den Anschlägen auf den Thron unbekannt, einmal über das andere fragten, welch plötzlicher Aufstand oder Krieg das hohe Amt einer Diktatur überhaupt und insbesondere den Quinctius nach seinem achtzigsten Jahr als Oberhaupt des Staates nötig gemacht habe, 3 da ging auf Befehl des Diktators der Magister Equitum Servilius auf Maelius zu und sprach: Der Diktator fordert dich! Bestürzt fragte dieser, was er von ihm wolle; und Servilius kündigte ihm an, er habe sich zu verantworten und die Anklage zu widerlegen, welche Minucius vor den Senat gebracht habe. 4 Da zog sich Maelius in seine Schar zurück und sah sich anfangs unschlüssig nach allen Seiten um; endlich aber, als ihn der Gerichtsdiener auf Befehl des Magister Equitum mit sich nahm, rief er, durch Hilfe der Umstehenden losgemacht und fliehend, 5 die römischen Bürger zum Beistand auf, versicherte, die Väter hätten sich zu seiner Unterdrückung verschworen, weil er dem Bürgerstand Wohltaten erwiesen habe, und bat, sie möchten ihm in seiner höchsten Not Hilfe leisten und ihn nicht vor ihren Augen ermorden lassen.
6 Mitten in diesem Geschrei holte Servilius Ahala ihn ein und machte ihn nieder. Bespritzt vom Blut des Erschlagenen und gedeckt von einer Schar junger Patrizier brachte er dem Diktator den Bescheid, der vor ihn geforderte Maelius habe den Gerichtsdiener zurückgestoßen, das Volk erregen wollen und dafür eine verdiente Strafe empfangen. 7 Da sprach der Diktator: Heil dir, Caius Servilius, ob deiner Tapferkeit! Du hast den Staat befreit.
(15) Nun ließ er die lärmende Menge, die nicht wusste, wie sie die Tat aufnehmen sollte, zur Versammlung berufen und erklärte, wenn auch Maelius des Verbrechens, nach dem Thron gestrebt zu haben, nicht schuldig gewesen sein sollte, so sei er doch mit Recht umgebracht, da er, vom Magister Equitum vor den Diktator gefordert, sich nicht gestellt habe. 2 Er habe hier die Sitzung eröffnet, um die Sache zu untersuchen, und nach beendeter Untersuchung hätte Maelius ein Schicksal gehabt, je nach dem Stand der Sache. Da er aber Gewalt gebraucht habe, um sich dem Gericht zu entziehen, so sei er mit Gewalt zur Ruhe gebracht worden. 3 Auch habe man den Menschen gar nicht als einen Mitbürger behandeln müssen, denn in einem freien Volk, unter dem Schutz der Rechte und Gesetze sei er geboren, er habe gewusst, dass gerade diese Stadt die Könige vertrieben habe, und dass in demselben Jahr die Söhne der Schwester des Königs, die Söhne des Konsuls selbst, des Befreiers des Vaterlandes, auf geschehene Anzeige von einem Vertrag, den sie zur Wiederaufnahme der Könige in die Stadt eingegangen waren, auf Befehl ihres eigenen Vaters enthauptet wurden, 4 er habe gewusst, dass man hier den Konsul Tarquinius Collatinus bloß aus Hass gegen seinen Namen zur Abdankung und Auswanderung zwang; er habe ferner gewusst, dass man hier einige Jahre später den Spurius Cassius wegen eines unternommenen Anschlages auf den Thron mit dem Tod bestrafte, dass man hier noch kürzlich die Dezemvirn für ihren königlichen Übermut mit der Einziehung ihrer Güter, Verweisung und Hinrichtung bestrafte – und habe dennoch in derselben Stadt – er, ein Spurius Maelius! – es gewagt, auf den Thron zu hoffen. 5 Und welcher Mensch? Zwar öffne kein Adel, kein Ehrenamt, kein Verdienst irgendeinem den Weg zur Alleinherrschaft, indes ein Claudius, ein Cassius habe sich doch noch durch Konsulate, Dezemvirate, durch seine und seiner Vorfahren Ehrenämter, durch den Glanz seines Geschlechts verleiten lassen, nach einer verbotenen Höhe zu trachten. 6 Spurius Maelius aber, für den ein Volkstribunat mehr etwas Wünschenswertes als zu Hoffendes gewesen sei – ein reicher Getreidehändler –, habe gehofft, für zwei Pfund Getreide seinen Mitbürgern die Freiheit abgekauft zu haben, und durch ein vorgeworfenes Stück Brot das Volk, das aller benachbarten Völker Sieger sei, in die Sklaverei locken zu können, so dass alsdann dieselbe Bürgerschaft, die sich ihn kaum als Ratsherrn hätte gefallen lassen können, ihn als König hätte dulden müssen; es hätte ansehen müssen, 7 wie er mit den Majestätszeichen und der königlichen Macht eines von den Göttern entsprossenen und zu den Göttern zurückgegangenen Erbauers Romulus bekleidet sei. Dies müsse man nicht etwa für einen Frevel, für ein Scheusal müsse man es anerkennen. 8 Auch sei sein Blut dafür keine genügende Sühne, wenn nicht auch sein Haus und die Wände, zwischen denen ein solcher Wahnsinn ausgebrütet sei, zertrümmert und seine Güter, welche in Berührung mit dem für die Freiheit gebotenen Kaufgeld verpestet wären, eingezogen würden. Er befehle hiermit den Schatzmeistern, diese Güter zu verkaufen und den Ertrag in die Staatskasse zu legen.
(16) Darauf gab er Befehl, das Haus sogleich niederzureißen, damit der freie Platz ein Denkmal des vernichteten gottlosen Entwurfes bleibe. Dieser bekam den Namen Aequimaelium (Mäliusplatz). 2 Lucius Minucius wurde mit einem Ochsen und einem vor dem Drillingstor errichteten Standbild beschenkt, womit selbst die Bürger nicht unzufrieden waren, weil er ihnen die Kornvorräte des Maelius, den Modius zum Preis eines As, verteilte.
3 Bei einigen Schriftstellern finde ich, dass dieser Minucius aus dem Adel in den Bürgerstand übergegangen, von den zehn Volkstribunen als der elfte aufgenommen sei und einen über die Hinrichtung des Maelius entstandenen Aufruhr gestillt habe. 4 Allein es ist kaum glaublich, dass die Väter die Vermehrung der Tribunenzahl gestattet haben sollten, dass gerade ein Patrizier dieses Beispiel aufgestellt, und der Bürgerstand nachher das einmal zugestandene Recht nicht behauptet oder wenigstens zu behaupten versucht habe. Aber vor allem wird die falsche Verherrlichung der Ahnen dadurch widerlegt, dass wenige Jahre vorher das Gesetz gegeben war, dass es den Tribunen nicht gestattet sein sollte, den Amtsgenossen durch Selbstergänzung zu wählen.
5 Die einzigen Tribunen, welche auf die dem Minucius zu erweisenden Ehrenbezeigungen nicht mit angetragen hatten, waren Quintus Caecilius, Quintus Junius und Sextus Titinius; sie waren es auch, welche nicht aufhörten, bald den Minucius, bald den Servilius zu beschuldigen und über den traurigen Tod des Maelius zu klagen. 6 Sie setzten es also durch, dass am Wahltag Kriegstribunen statt der Konsuln ernannt werden müssten; und sie zweifelten nicht, dass bei sechs Plätzen (denn so viele zu wählen, war schon bewilligt) auch einige Bürgerliche gewählt würden, wenn sie sich zu Rächern des ermordeten Maelius anböten. 7 Der Bürgerstand war allerdings in diesem Jahr durch so viele und mancherlei Auftritte gereizt; und dennoch wählte er zu Tribunen mit Konsulargewalt nicht mehr als drei, und unter diesen den Lucius Quinctius, einen Sohn desselben Cincinnatus, dessen angefeindete Diktatur einen Aufstand veranlassen sollte. 8 Den Quinctius übertraf an Mehrheit der Stimmen Mamercus Aemilius, ein höchst würdiger Mann. Der dritte wurde Lucius Julius.
(17) Während ihres Amtsjahres fiel Fidenae, eine römische Kolonie, an den König von Veji, Lar Tolumnius, und an die Vejenter ab. 2 Sie häuften auf das Verbrechen des Abfalls noch ein größeres. Auf Geheiß