Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Erfolges einen nächtlichen Angriff auf das Lager des Konsuls. Das plötzlich entstandene Geschrei weckte nicht allein die Wachen des Konsuls und dann sein ganzes Heer, sondern auch den Diktator aus dem Schlaf auf. 7 Den Konsul verließ hier, wo schnelle Hilfe nötig war, weder sein Mut noch seine Einsicht. Ein Teil seiner Soldaten musste die Posten der Tore verstärken, ein anderer den Wall ringsherum besetzen. 8 In dem andern Lager des Diktators wurde, je weniger Verwirrung war, desto eher bemerkt, was zu tun nötig sei. Nachdem er sogleich eine Schar unter Anführung des Legaten Spurius Postumius Albus dem Lager zu Hilfe geschickt hatte, bezog er selbst mit einem Teil seiner Truppen auf einem kleinen Umweg einen ganz außer dem Schlachtgetümmel gelegenen Platz, um von hier aus dem Feind unvermutet in den Rücken zu fallen. 9 Dem Legaten Quintus Sulpicius übergab er das Lager, die Reiterei wies er dem Legaten Marcus Fabius an, mit dem Befehl, sich mit dieser bei nächtlichem Getümmel schwer zu leitenden Schar nicht vor Tagesanbruch in Bewegung zu setzen. Was jeder andere kluge und tätige Feldherr in einer solchen Lage anordnen und ausführen würde, das alles verfügte und leitete er eins nach dem andern; 10 allein einen ausgezeichneten Beweis von Besonnenheit und Entschlossenheit und eines nicht gewöhnlichen Verdienstes gab er dadurch, dass er sogar zum Angriff auf das feindliche Lager, aus welchem, wie er ausgekundschaftet hatte, der größere Teil ausgezogen war, den Marcus Geganius an der Spitze auserlesener Kohorten abschickte. 11 Dieser also richtete seinen Angriff auf Leute, die auf den Ausgang des anderweitigen Gefechtes aufmerksam und für sich selbst unbesorgt waren, bei völliger Vernachlässigung ihrer Wachen und Posten, und hatte das Lager beinahe schon erobert, ehe der Feind gewiss wusste, dass es bestürmt wurde. 12 Sobald der Diktator von hier das verabredete Zeichen, den Rauch, emporsteigen sah, rief er laut aus, das feindliche Lager sei erobert, und befahl die Verbreitung dieser Nachricht.
(28) Schon begann der Tag, und alles lag vor Augen. Hier hatte Fabius mit der Reiterei den Angriff unternommen, dort der Konsul auf die schon bedrängten Feinde einen Ausfall aus dem Lager gemacht. 2 Der Diktator aber, der gegenüber ihre Reservemannschaft und das Hintertreffen angriff, hatte ihnen, als sie sich nach dem von entgegengesetzten Seiten tönenden Geschrei und gegen die unerwarteten Angriffe umkehrten, von allen Seiten seine Sieger zu Fuß und zu Pferde entgegengestellt.
3 Von allen Seiten umzingelt, würden sie bis auf den letzten Mann für die Empörung gebüßt haben, hätte nicht Vettius Messius, ein Volsker, ein Mann, den mehr seine Taten als seine Abkunft adelten, den schon zum Kreis sich schließenden Seinigen die lauten Vorwürfe zugerufen: 4 Hier wollt ihr euch den Pfeilen der Feinde aussetzen, ohne euch wehren, ohne euch rächen zu können? Wozu habt ihr denn die Waffen, oder warum begannt ihr den Krieg, im Frieden die Aufrührer, im Krieg die Feigen? Was hofft ihr hier von eurem Stehenbleiben? Wartet ihr, bis ein Gott euch beschützen und von hier fortführen werde? Mit dem Schwert müsst ihr euch Bahn brechen. 5 Hier, wo ihr mich vorangehen seht — auf, wer Haus und Eltern, Frau und Kind wiedersehen will, der folge mir! Keine Mauer, kein Wall, bloß Bewaffnete sperren uns Bewaffneten den Weg! An Tapferkeit seid ihr ihnen gleich; durch die Not, die letzte und furchtbarste Waffe, überlegen!
6 Da sie auf diese Worte, die er schon in die Tat umsetzte, mit erneutem Geschrei sich ihm anschlossen, brachen sie da hinein, wo ihnen Postumius Albus seine Kohorten entgegengestellt hatte, und warfen die Sieger, bis der Diktator zu den schon weichenden Seinigen ankam; und nun zog sich der ganze Kampf auf diese Seite. 7 An einem Mann, dem Helden Messius, hing das Glück der Feinde. Auf beiden Seiten gab es viele Wunden, allenthalben viele Tote, selbst den römischen Feldherren kostete dies Treffen ihr Blut. 8 Doch nur der einzige Postumius, von einem Stein tief in den Kopf getroffen, verließ die Schlacht. Keineswegs aber vermochte den Diktator seine verwundete Schulter, nicht den Fabius sein beinahe am Pferd festgebohrter Schenkel, nicht den Konsul sein abgehauener Arm dem heißen Kampf sich zu entziehen.
(29) Messius schlug, alles vor sich niederstreckend, mit einer Schar der tapfersten Jünglinge sich durch zum Lager der Volsker, welches noch nicht erobert war. 2 Dorthin wendete sich die ganze Schlachtordnung. Der Konsul, der die Zersprengten bis an ihren Wall verfolgte, machte jetzt den Angriff auf Lager und Wall, von einer andern Seite rückte der Diktator mit seinen Truppen an. Der Sturm wurde nicht minder hitzig als die Schlacht gewesen war. 3 Der Konsul soll auch einen Adler über den Wall hineingeworfen haben, damit die Soldaten umso mutiger hinansteigen möchten, und die Wiedereroberung der Fahne soll hier zuerst den Einbruch bewirkt haben. Dort hatte der Diktator schon nach Niederreißung des Walles den Kampf ins Lager gebracht. 4 Da warfen hier und da die Feinde die Waffen von sich und fingen an, sich zu ergeben. Und nachdem auch dieses Lager erobert war, wurden die Gefangenen alle, die Senatoren ausgenommen, zu Sklaven verkauft, von der Beute wurde den Latinern und Hernikern, was sie für ihr Eigentum anerkannten, wiedergegeben; einen Teil verkaufte der Diktator den Meistbietenden; dann setzte er den Konsul über das Lager, fuhr im Triumph zur Stadt ein und legte die Diktatur nieder.
5 Das Andenken dieser ausgezeichneten Diktatur trüben einige Schriftsteller durch die Erzählung, Aulus Postumius habe seinen Sohn, weil er durch die Gelegenheit eines ehrenvollen Kampfes verführt, seinen Posten ohne Erlaubnis verlassen habe, obgleich er gesiegt hätte, mit hinrichten lassen. 6 Ich möchte es gern nicht glauben, und bei dem Widerspruch der Meinungen darf ich das. Auch habe ich den Grund für mich, dass die Benennungen »Manlische Zucht«, nicht aber die »Postumische« üblich ist, da doch der, welcher ein solches Beispiel der Härte zuerst gab, auf die seine Grausamkeit bezeichnende Benennung früheren Anspruch gehabt hätte. Auch hat Manlius den Beinamen »der Gebieterische«; Postumius ist durch keine tadelnde Bemerkung ausgezeichnet worden.
7 Der Konsul Cnaeus Julius weihte in Abwesenheit seines Amtsgenossen dem Apollo den Tempel ohne Los ein. Quinctius, so sehr ihn dies verdross, beschwerte sich darüber, als er nach Entlassung seines Heeres zur Stadt zurückgekehrt war, im Senat vergeblich.
8 Zu den Denkwürdigkeiten dieses durch große Taten ausgezeichneten Jahres fügt man noch die eine, die damals auf den römischen Staat keinen Bezug zu haben schien, dass die Karthager, diese dereinst so mächtigen Feinde, bei den Uneinigkeiten der Sikuler jetzt zum ersten Mal ein Heer zur Unterstützung der einen Partei nach Sizilien schickten.
(30) In der Stadt betrieben die Volkstribunen die Wahl konsularischer Kriegstribunen, ohne sie durchsetzen zu können. Lucius Papirius Crassus und Lucius Julius wurden Konsuln. Die Aequer beantragten durch Gesandte beim Senat einen Friedensschluss, und da man ihnen als Friedensbedingung die Übergabe zumutete, ließen sie sich einen achtjährigen Waffenstillstand bewilligen. 2 Die Volsker, schon durch die auf dem Algidus erlittene Niederlage geschwächt, gerieten durch einen hartnäckigen Streit zwischen den Parteien für Krieg und Frieden in Zänkereien und Spaltungen. Die Römer hatten von allen Seiten Ruhe. 3 Als die Konsuln durch den Verrat eines einzelnen Volkstribunen erfahren hatten, dass diese den Wünschen des Volkes gemäß einen Vorschlag machen wollten, den Wert der zu erlegenden Strafen in Geld zu bestimmen, kamen sie ihnen mit diesem Antrag zuvor. 4 Lucius Sergius Fidenas wurde zum zweiten Mal Konsul und mit ihm Hostus Lucretius Tricipitinus. Unter ihrem Konsulat geschah nichts Erwähnenswertes. Ihnen folgten die Konsuln Aulus Cornelius Cossus und Titus Quinctius Pennus; Letzterer war es zum zweiten Mal.
5 Die Vejenter unternahmen Einfälle in das römische Gebiet. Weil dem Gerücht nach einige junge Fidenaten an dieser Plünderung teilgenommen hatten, bekamen Lucius Sergius, Quintus Servilius und Mamercus Aemilius den Auftrag, die Sache zu untersuchen. 6 Einige wurden nach Ostia verwiesen, weil sie nicht genügende Auskunft geben konnten, warum sie in jenen Tagen von Fidenae entfernt gewesen wären. Man vermehrte die Zahl der dortigen Siedler und wies ihnen die Ländereien derer an, die im Krieg gefallen waren.
7 Man hatte in diesem Jahr besonders an der Trockenheit zu leiden. Es fehlte nicht allein an Regen, sondern die Erde war auch an eigenem Wasser so arm, dass sie kaum die Ströme fließend erhielt. 8 An anderen Orten hatte der Wassermangel zur Folge, dass die vor Durst verschmachtenden Herden an den versiegten Quellen und Bächen haufenweise fielen. Auch starb viel Vieh an der Räude. Durch Ansteckung verbreitete sich die Krankheit auch über die Menschen; zuerst brach sie unter den Landleuten und Sklaven aus; dann wurde sie in der Stadt allgemein. 9 Doch war die Seuche, welche die Körper traf, nicht das Einzige; auch der Gemüter bemächtigte sich eine vielfache, meist ausländische Abgötterei, weil diejenigen, die von den durch Aberglauben Geblendeten ihren Vorteil ziehen, durch vorgegebene Göttersprüche neue Opfergebräuche