Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Krieg beschied, in allen Stücken unbesonnen und nachlässig, und in seinen Gedanken Anführer des siegreichen Volkes gegen Besiegte ‒ gleich als gäbe es in der Welt nichts Zuverlässigeres als das Glück ‒, traute er diesem, 7 so dass sich im volskischen Heer mehr römische Ordnung als im römischen fand. So war auch das Glück, wie auch sonst oft, entsprechend der Tapferkeit. 8 Gleich in der ersten Schlacht, welche Sempronius ohne Vorsicht und Überlegung lieferte, ging das Gefecht an, ohne dass er seine Linie durch einen Rückhalt gedeckt, noch die Reiterei am rechten Platz aufgestellt hatte. 9 Schon das Schlachtgeschrei gab zu erkennen, wohin der Sieg sich neigen würde. 10 Von den Feinden wurde es weit mutiger und kräftiger erhoben, von den Römern verworren, ungleich und einige Male schwächer erneuert, sprach es schon durch seine schwankende Haltung die Verzagtheit ihres Innern aus. 11 Um so mutvoller drangen die Feinde ein, drängten sie mit ihren Schilden, ließen ihnen die Schwerter vor den Augen blinken, während auf der andern Seite den um sich her Sehenden die Helme wankten, und sie selbst, vor Verlegenheit unstet, sich der Menge anschlossen. Wo die Fahnen noch standhielten, wurden sie von den Vorderlinien verlassen, andere in die Haufen der Ihrigen zurückgezogen. Noch war ebenso wenig Flucht wie Sieg entschieden; doch deckte sich der Römer mehr, als dass er kämpfte. Der Volsker hingegen brach ein, drängte die Linie und sah mehr Feinde fallen als fliehen.
(38) Schon wichen sie auf allen Punkten, und vergeblich schalt und ermunterte der Konsul Sempronius; Herrschergewalt und Hoheit galten nichts mehr, 2 und bald würden sie dem Feind den Rücken gekehrt haben, wenn nicht Sextus Tempanius, ein Rittmeister, durch seine Geistesgegenwart die sinkende Sache gestützt hätte. Laut schrie er, wer von den Reitern das Ganze gerettet wissen wolle, solle absitzen, 3 und da die Reiter aller Schwadronen, wie auf des Konsuls Gebot, gehorchten, rief er: Wenn wir nicht als Kohorte hinter Reiterschilden den Angriff der Feinde aufhalten, so ist es um Roms Oberherrschaft geschehen. Folgt statt der Fahne meiner Lanze! Zeigt Römern und Volskern, dass es mit euch zu Pferd keine Reiterei und zu Fuß kein Fußvolk aufnehmen könne. 4 Als sie mit Geschrei seinem Zuruf Beifall gaben, schritt er mit hocherhobener Lanze voran. Wo sie erschienen, bahnten sie sich den Weg mit Gewalt; mit vorgehaltenen Schilden stürzten sie dahin, wo sie die Ihrigen am meisten bedrängt sahen. 5 Allenthalben, wo sie vordrangen, wurde die Schlacht wiederhergestellt, und hätten so wenige überall zugleich sein können, so hätten unstreitig die Feinde die Flucht ergriffen.
(39) Schon konnte man sie nirgends mehr aufhalten, als der volskische Feldherr seinen Leuten befahl, sie sollten die neue feindliche Kohorte mit den runden Schilden durchlassen, damit sie, mit Ungestüm vordringend, von den Ihrigen abgeschnitten würde. 2 Als dies geschah, waren die Reiter abgeschnitten. Sie selbst konnten auf demselben Weg, auf dem sie durchgebrochen waren, sich nicht wieder durchschlagen, weil da, wo sie sich Bahn gemacht hatten, die Feinde am dichtesten standen; 3 und der Konsul und das römische Fußvolk wagten sich, als sie die, welche eben noch des ganzen Heeres Schutz gewesen waren, nirgends mehr erblickten, in jede Gefahr, um so viele tapfere Männer nicht vom Feind abschneiden und überwältigen zu lassen. 4 Die Volsker, nach entgegengesetzten Seiten kämpfend, hielten hier den Konsul und das Fußvolk auf, und gegenüber setzten sie dem Tempanius und seinen Reitern zu, welche nach vergeblich wiederholten Versuchen, sich zu den Ihrigen durchzuschlagen, eine Anhöhe besetzten und in Kreisstellung fechtend jeden Verlust am Feind rächten. Erst die Nacht beendete den Kampf.
5 Auch der Konsul hielt, ohne irgendwo vom Kampf abzulassen, solange man noch einigermaßen Tageslicht hatte, den Feind beschäftigt. 6 Die Nacht trennte die Streitenden in völliger Ungewissheit, und wegen ihrer Unsicherheit über den Ausgang der Schlacht geriet in beiden Lagern alles in solche Bestürzung, dass beide Heere mit Hinterlassung der Verwundeten und eines großen Teiles ihres Gepäcks sich als Besiegte auf die nahen Berge zurückzogen. 7 Indes blieb der Hügel bis nach Mitternacht umlagert. Als hier bei den Belagerern die Nachricht eintraf, dass ihr Lager verlassen sei, hielten auch sie die Ihrigen für die Besiegten und flohen, wohin jeden jeweils der Schrecken im Dunkeln führte. 8 Aus Furcht vor einer List hielt Tempanius die Seinigen bis zum Tag beisammen. Als er darauf mit einigen wenigen auf Kundschaft ausging und durch Nachfrage bei den feindlichen Verwundeten erfuhr, dass die Volsker ihr Lager verlassen hätten, rief er voll Freude die Seinigen vom Hügel herab und rückte in das römische Lager. 9 Als er aber auch hier alles öde und verlassen und denselben kläglichen Anblick wie bei den Feinden fand, zog er – ohne die Rückkehr der Feinde, die ihren Irrtum bemerken konnten, abzuwarten, und mit so vielen Verwundeten, als er mitnehmen konnte –, weil er nicht wusste, in welche Gegend sich der Konsul gewandt habe, auf den nächsten Wegen zur Stadt.
(40) Dahin war der Ruf von der unglücklichen Schlacht und dem verlassenen Lager schon gedrungen, und vor allen waren die Reiter beklagt worden, ebenso sehr von den Einzelnen als vom Staat. 2 Und der Konsul Fabius hielt, da der Schrecken über die Stadt gekommen war, sich mit einem Posten vor den Toren auf, als die Reiter – die man in der Ferne, noch ungewiss, wer sie sein möchten, nicht ohne Schrecken sah –, sobald sie erkannt wurden, die Besorgnis in eine so große Freude verwandelten, dass ein Jubelgeschrei von Glückwünschen über die Rückkehr der geretteten, siegreichen Reiter die Stadt durchdrang. Aus den kurz zuvor noch trauernden Häusern, welche die Ihrigen als verloren aufgegeben hatten, 3 rannte man auf die Straßen, und ängstlich liefen die Mütter und Gattinnen, in der Entzückung des Aufstandes vergessend, dem Zug entgegen, und jede flog, vor Entzücken kaum noch ihrer Glieder und Sinne mächtig, auf die Ihrigen zu.
4 Die Volkstribunen, die den Marcus Postumius und Titus Quinctius vor Gericht geladen hatten, weil durch ihre Schuld die Schlacht bei Veji56 so unglücklich abgelaufen war, glaubten bei Gelegenheit des neuen Hasses, der auf den Konsul Sempronius fiel, auch gegen jene die Erbitterung erneuern zu können. 5 Sie beriefen eine Versammlung, und da sie sich mit Geschrei darüber ausgelassen hatten, dass bei Veji das allgemeine Beste von den Feldherren aufgeopfert sei, dass nachher im Volskerland, weil jene ungestraft geblieben wären, der Konsul ebenso sein Heer aufgeopfert, so tapfere Reiter dem Gemetzel preisgegeben und sein Lager schimpflich verlassen habe, 6 ließ Caius Julius, einer von den Tribunen, den Ritter Sextus Tempanius vorfordern und sprach in Gegenwart der Beklagten:
Sextus Tempanius, ich frage dich, ob sich der Konsul Sempronius deiner Meinung nach zur rechten Zeit in eine Schlacht eingelassen, sein Heer durch einen Rückhalt verstärkt oder irgendeine Pflicht eines tüchtigen Konsuls erfüllt habe. 7 Ferner, hast du nicht, als das römische Fußvolk geschlagen war, aus eigenem Antrieb die Reiterei absitzen lassen und das Gefecht wiederhergestellt? Als du darauf von unserer Linie abgeschnitten warst, kam dir und den Reitern der Konsul entweder selbst zu Hilfe oder schickte er dir eine Unterstützung? 8 Fandest du den Tag darauf von irgendeinem einigen Beistand, oder drangst du mit deiner Kohorte aus eigener Tapferkeit in euer Lager? Fandet ihr da einen Konsul oder ein Heer im Lager oder alles preisgegeben? Die verwundeten Soldaten verlassen? 9 Hierüber hast du, deiner Tapferkeit und Treue gemäß, auf welcher allein das allgemeine Beste in dieser Schlacht beruhte, dich heute zu erklären, sowie endlich auch darüber, wo Caius Sempronius, wo unsere Legionen sein mögen, ob du verlassen seiest oder den Konsul und das Heer verlassen habest. Endlich, ob wir die Besiegten oder die Sieger sind.
(41) Hierauf antwortete Tempanius, wie man erzählt, in einer ungekünstelten Rede, doch im festen Ton des Soldaten, ohne Prunk mit eigenem Verdienst, ohne Wohlgefallen an Beschuldigungen eines Dritten: 2 Wie viel Einsicht im Kriegswesen Caius Sempronius besitze, dies Urteil über seinen Feldherrn sei nicht die Sache eines Soldaten, sondern damals des römischen Volkes gewesen, als es ihn am Wahltag zum Konsul gewählt habe. 3 Also möchten sie ihn nicht über die Entwürfe eines Feldherrn, über die Eigenschaften eines Konsuls befragen, deren Würdigung selbst einen großen Geist, einen Mann von Kopf erfordere. Er könne nur erzählen, was er gesehen habe. 4 Er habe aber gesehen, ehe er vom Heer abgeschnitten worden sei, wie der Konsul im Vordertreffen gekämpft, Mut eingesprochen und unter den Fahnen der Römer und Pfeilen der Feinde gewaltet habe. 5 Nachher habe er selbst die Seinigen aus den Augen verloren. Aus dem Getümmel aber und dem Geschrei habe er gemerkt, dass der Kampf bis in die Nacht fortgesetzt worden sei; er glaube aber, dass man vor der Menge von Feinden zu dem Hügel, den er selbst besetzt gehabt, nicht habe durchdringen können. 6 Wo das Heer sei, wisse er nicht; er vermute aber, so wie er selbst sich und die Seinigen durch den günstigen Platz geschützt habe, so werde auch der Konsul zur Deckung des Heeres sein Lager in sichereren Gegenden genommen haben. 7 Auch