Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.richten konnten, so wandten sie ihren Zorn gegen Caius Sempronius, den Neffen des Aulus Atratinus, und ließen ihn wegen der im Volskerkrieg erlittenen Schande vor Gericht fordern, wozu ihr Amtsgenosse Marcus Canulejius die Hand bot. 7 Unmittelbar darauf brachten dieselben Tribunen im Senat die Landverteilung zur Sprache, einen Vorschlag, dem sich Caius Sempronius immer sehr heftig widersetzt hatte, weil sie ganz richtig vermuteten, er werde entweder, wenn er diese Sache fallen ließe, den Vätern als Beklagter weniger wert sein, oder, wenn er dabei beharrte, sich gerade gegen die Zeit seines Verhörs bei den Bürgern verhasst machen. 8 Er wollte lieber dem Hass, den er vor Augen sah, sich preisgeben und seiner eigenen Sache schaden, als die des Staates im Stich lassen, 9 und blieb bei seiner Erklärung, man müsse die Schenkung nicht zustande kommen lassen, von der nur die drei Tribunen den Dank ernten würden. Und selbst hierin sei es nicht auf Ländereien für den Bürgerstand, sondern auf Hass gegen ihn abgesehen. Teils wollte er selbst diesen Sturm mit Mut und Tapferkeit über sich ergehen lassen, teils müsse weder er als Mitbürger noch irgendein anderer dem Senat so viel wert sein, dass, um einen zu schonen, das Ganze Schaden leide. 10 Da er, als der Tag erschien, mit ebenso wenig gebeugtem Mut seine Sache führte, und die Väter vergebens alles aufgeboten hatten, den Bürgerstand zu beruhigen, so verurteilte man ihn zu einer Strafe von 15 000 As.
11 In demselben Jahr musste sich eine Vestalin, Postumia, gegen die Anklage der Unsittlichkeit verantworten, die auch mit Unrecht beschuldigt war, allein durch ihr anmutiges Äußeres und ein munteres Wesen, wie es einer Jungfrau anständig ist, dem Argwohn Gelegenheit gab. 12 Es wurde ihr ein zweiter Gerichtstag zugestanden, und als sie freigesprochen war, empfahl ihr der Hohepriester im Namen seines Kollegiums, das freie Wesen zu lassen und sich lieber ehrbar als geschmackvoll zu kleiden.
Auch wurde in diesem Jahr die Stadt Cumae, welche damals den Griechen gehörte, von den Campanern erobert. 13 Das folgende Jahr hatte Kriegstribunen mit konsularischer Gewalt, den Agrippa Menenius Lanatus, Publius Lucretius Tricipitinus und Spurius Nautius Rutilus.
(45) Dieses Jahr war vermöge des Glückes des römischen Volkes mehr ausgezeichnet durch eine große Gefahr als durch ein großes Unglück. Die Sklaven verschworen sich, die Stadt an verschiedenen Ecken in Brand zu stecken und, während das Volk allenthalben mit Rettung der Häuser beschäftigt sei, bewaffnet die Burg und das Kapitol zu erobern. 2 Der verruchte Anschlag wurde von Jupiter abgewandt; auf die Anzeige Zweier wurden die Schuldigen ergriffen und bestraft, von den Anzeigern bekam jeder 10 000 As aus der Schatzkammer gezahlt, welche damals für Reichtum galten, und die Freiheit zur Belohnung.
3 Darauf fingen die Aequer an, sich wieder zum Krieg zu rüsten, und man erfuhr in Rom aus zuverlässiger Quelle, dass die Lavicaner, neue Feinde, mit den alten gemeinschaftliche Sache machten. 4 An die Angriffe der Aequer war man schon als alle Jahre wiederkehrende gewöhnt. Nach Lavici aber wurden Gesandte geschickt, und weil aus der zweideutigen Antwort, welche diese zurückbrachten, sich ergab, dass sie sich zwar jetzt noch nicht zum Krieg anschickten, dass aber auch der Friede nicht von Bestand sein werde, gab man den Tuskulanern den Auftrag, auf jede neue Bewegung zu Lavici zu achten.
5 Kaum hatten die konsularischen Kriegstribunen des folgenden Jahres ihr Amt angetreten – es waren dies Lucius Sergius Fidenas, Marcus Papirius Mugillanus, Cajus Servilius, ein Sohn des Priscus, der als Diktator Fidenae erobert hatte –, da fanden sich bei ihnen Gesandte von Tuskulum ein. 6 Sie meldeten, die Lavicaner hätten die Waffen ergriffen, und nachdem sie mit dem Heer der Aequer vereint das tuskulanische Gebiet verheert hätten, sich auf dem Berg Algidus gelagert. 7 Nun wurde den Lavicanern der Krieg angekündigt; als aber der Senat beschloss, dass zwei von den Tribunen zu Felde ziehen und einer die Angelegenheiten Roms besorgen sollte, erhob sich zwischen diesen Tribunen ein unerwarteter Streit. Jeder hielt sich für den würdigeren Feldherrn und suchte der Besorgung der städtischen Angelegenheiten, als einem undankbaren und unrühmlichen Geschäft, auszuweichen. 8 Als die Väter dem unanständigen Streit zwischen Amtsgenossen mit Verwunderung zusahen, sprach Quintus Servilius: Weil ihr denn ebenso wenig für diesen Stand wie für das allgemeine Beste Achtung habt, so soll das väterliche Ansehen diesen Streit entscheiden. Mein Sohn soll, ohne zu losen, die Stadt behalten. Mögen die, welche den Krieg für sich beanspruchen, ihn mit mehr Überlegung und Eintracht führen, als sie ihn begehren!
(46) Man hatte beschlossen, die Werbung nicht auf das ganze Volk ohne Unterschied auszudehnen; das Los musste zehn Bezirke bestimmen, und die aus diesen aufgezeichneten Dienstfähigen wurden von den zwei Tribunen in den Krieg geführt. 2 Den Streit, der unter ihnen schon in der Stadt begann, entflammte dieselbe Begierde nach dem Oberbefehl im Lager noch weit heftiger. In keinem Punkt waren sie einig; jeder verfocht seine Meinung, nur seine Anschläge, nur seine Befehle sollten gültig sein; er verachtete den andern und wurde wieder von diesem verachtet, 3 bis endlich auf die Rüge der Unterfeldherren ein Vergleich zustande kam, dass jeder einen Tag um den andern den Oberbefehl haben sollte. 4 Als man dies in Rom erfuhr, soll Quintus Servilius, durch Alter und Erfahrung belehrt, die unsterblichen Götter gebeten haben, sie möchten diesen Zwist der Tribunen dem Staat nicht noch nachteiliger werden lassen, als der bei Veji gewesen sei, und, gleich als sei ein bevorstehendes Unglück außer Zweifel, soll er bei seinem Sohn darauf gedrungen haben, Truppen zu werben und an Bewaffnung zu denken. Und seine Prophezeiung wurde erfüllt. 5 Denn unter der Anführung des Lucius Sergius, der an diesem Tag den Oberbefehl hatte, wurden die Römer in einer nachteiligen Stellung dicht unter dem feindlichen Lager – wohin sie die törichte Hoffnung, es zu erobern, gelockt hatte, weil sich der Feind in verstellter Furcht bis an seinen Wall zurückzog –, in einem plötzlichen Angriff der Aequer durch das rücklings abhängige Tal zurückgeworfen, und in diesem mehr einem Zusammensturz als einer Flucht ähnlichen Gewühl eine Menge überfallen und niedergemacht. 6 Auch ihr Lager, das sie an diesem Tag mit Mühe behaupteten, verloren sie am folgenden, als es größtenteils schon vom Feind umzingelt war, durch eine schimpfliche Flucht aus dem Hintertor. Die Anführer und Unterfeldherren und der die Fahnen deckende Kern des Heeres flüchteten nach Tuskulum. 7 Die anderen, die zerstreut im Land umherschweiften, eilten auf mancherlei Wegen mit der Nachricht von einer größeren Niederlage, als sie wirklich erlitten hatten, nach Rom. 8 Man geriet hier weniger in Bestürzung, weil der Erfolg gerade der war, den man befürchtet hatte, und vom Kriegstribun die Vorkehrungen, an die man in der Not sich halten konnte, schon getroffen waren. 9 Nachdem er ferner durch die niederen Beamten den Auflauf in der Stadt gestillt hatte, wurden auf seinen Befehl eiligst Kundschafter ausgeschickt, welche mit der Nachricht zurückkamen, das Heer sei mit seinen Feldherren zu Tuskulum, und der Feind mit seinem Lager nicht weitergerückt. 10 Was ihnen aber am meisten Mut machte, war dies, dass vermöge eines Senatsbeschlusses Quintus Servilius Priscus zum Diktator ernannt wurde, ein Mann, dessen Scharfblick in Staatssachen die Bürger zwar schon in manchen früheren Stürmen kennengelernt hatten, namentlich aber jetzt durch den Ausgang dieses Krieges, weil ihm allein der Streit der Tribunen noch vor der unglücklichen Kriegführung verdacht eingeflößt hatte. 11 Nachdem er den Kriegstribun, von dem er selbst zum Diktator ernannt war, seinen Sohn, zum Magister Equitum erklärt hatte – dies berichten einige, während andere schreiben, Servilius Ahala sei in diesem Jahr Magister Equitum gewesen –, 12 rückte er mit dem neuen Heer zum Krieg aus, zog die zu Tuskulum Befindlichen an sich und schlug zweitausend Schritte vom Feind sein Lager auf.
(47) Übermut und Leichtsinn, vorher die Fehler der römischen Feldherren, waren nach der gewonnenen Schlacht auf die Aequer übergegangen. 2 Da also der Diktator gleich beim Anfang der Schlacht durch seine einhauende Reiterei die vorderen feindlichen Glieder in Unordnung gebracht hatte, ließ er das Fußvolk einen schnellen Angriff machen und tötete einen seiner Fahnenträger, welcher zögerte, mit eigener Hand. 3 Man ging mit solchem Eifer in den Kampf, dass die Aequer den Angriff nicht aushielten, und als sie sich nach verlorener Schlacht in völliger Flucht in ihr Lager gerettet hatten, erforderte die Bestürzung weniger Zeit und Kampf als die Schlacht. 4 Als der Diktator nach Eroberung und Plünderung des Lagers den Soldaten die Beute überlassen hatte, und die Reiterei, die den Feind auf seiner Flucht aus dem Lager verfolgt hatte, ihm meldete, dass alle geschlagenen Lavicaner und ein großer Teil der Aequer nach Lavici geflohen wären, 5 rückte er am Tag darauf mit dem Heer vor Lavici, und die ringsum bestürmte Stadt wurde mit Leitern erstiegen und geplündert. 6 Der Diktator führte das siegreiche Heer nach Rom zurück und legte den achten Tag, nachdem er gewählt war, sein Amt nieder; und zur gelegenen Zeit beschloss der Senat durch eine große Stimmenmehrheit,